Seite:Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild.djvu/106

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die erste Bürgerpflicht ist, wenn die Tugenden auf die Neige gehen, so fühle ich mich aus landsmännlicher Sympathie getrieben, Dir einige Moralität zu Gemüthe zu führen. – „Man könnte zwar meinen,“ fuhr er fort, „Du sey’st ein bloßer Jüngling, während doch Dein Frack über seine besten Jahre hinaus ist; man könnte vielleicht annehmen, Du habest vorhin wunderliche Sprünge gemacht, wie ein Satyr; ja, einige möchten wohl behaupten, Du seyest wohl gar ein Landstreicher, weil Du hier auf dem Lande bist und die Geige streichst; aber ich kehre mich an solche oberflächliche Urtheile nicht, ich halte mich an Deine feingespitzte Nase, ich halte Dich für ein vazirendes Genie.“ – Mich ärgerten die verfänglichen Redensarten, ich wollte ihm so eben recht antworten. Aber er ließ mich nicht zu Worte kommen. „Siehst Du,“ sagte er, „wie Du Dich schon aufblähst von dem bischen Lobe. Gehe in Dich, und bedenke dieses gefährliche Metier! Wir Genie’s – denn ich bin auch eins – machen uns aus der Welt eben so wenig, als sie aus uns, wir schreiten vielmehr ohne besondere Umstände in unsern Siebenmeilenstiefeln, die wir bald mit auf die Welt bringen, grade auf die Ewigkeit los. O höchst klägliche, unbequeme, breitgespreitzte Position, mit dem einen Beine in der Zukunft, wo nichts als Morgenroth und zukünftige Kindergesichter dazwischen, mit dem andern Beine noch mitten in Rom auf der Piazza del Popolo, wo das ganze Säkulum bei der guten Gelegenheit mitwill und sich an den Stiefel hängt, daß sie einem

Empfohlene Zitierweise:
Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Vereinsbuchhandlung, Berlin 1826, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_dem_Leben_eines_Taugenichts_und_das_Marmorbild.djvu/106&oldid=- (Version vom 31.7.2018)