Seite:Auf der Eisenbahn-Gerstaecker-1865.djvu/9

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der sich aber nicht wohl unter dem Blick zu fühlen schien und wie verlegen allerlei kleine Beschäftigungen wieder vornahm.

Er holte eine kleine, mit einem Miniaturspiegel versehene Haarbürste heraus, suchte vorher, mit Hülfe des Spiegels, einen Blick auf seinen Cravattenknoten zu gewinnen – was aber vollständig erfolglos blieb, und ging dann zu den etwas widerspenstigen Haaren über, die sich aber, trotz allem Bürsten, auf dem Wirbel wie zu einer Art von Scalp-Locke emporsträuben wollten, mochte er sich noch so viel Mühe damit geben. Danach ging er wieder daran sich abzustäuben – vom Rockkragen nieder bis zu den glanzledernen Stiefeln. Sonderbarer Weise hatte gerade ihm, vor allen Anderen, ein tückisches Schicksal – oder vielleicht eine Schwalbe – den Rockkragen verunreinigt, aber trotz allem Bürsten berührte er nie den Fleck, während der ihm gegenübersitzende Dicke seinen Blick – ohne jedoch eine Sylbe zu äußern – immer hartnäckig auf den Punkt gerichtet hielt.

Er rauchte dabei ununterbrochen, und da er seine Cigarre nie abstrich, fiel die Asche ein paar Mal ab, rollte an seinem Mantel nieder und auf die Knie des Ordentlichen, den er dadurch, ohne sich je zu entschuldigen, in steter Beschäftigung und Aufregung hielt. Es hatte dem unglücklichen Menschen nämlich nicht entgehen können, daß ihm der so unheimlich Eingehüllte stets auf den Rockkragen stierte, und mit der Ahnung, daß dort etwas nicht in Ordnung sei, besaß er doch zu viel Schüchternheit, um sich danach zu erkundigen.

Der Mann war offenbar zu einer Audienz befohlen oder machte eine Visite, um irgend eine Anstellung zu bekommen – jedenfalls hatte er Angst vor der nächsten Stunde.

Jetzt pfiff die Locomotive wieder.

„Gotha,“ sagte der Ordentliche, als er aus dem rechten Fenster sah und dabei in einem halben Seufzer stecken blieb. Der schreckliche Mensch ihm gegenüber sah ihm noch immer unverwandt auf den Rockkragen, und er hätte gern noch einen letzten Versuch mit dem Spiegel gemacht, aber – es war zu spät. Eben rollte der Zug vor das Stationsgebäude – hilf Himmel! die Uhr zeigte auf acht Minuten über halb drei – und mit einem raschen „Empfehle mich Ihnen ergebenst!“ flog der Unglückliche zum Wagen hinaus und seinem Schicksal entgegen.

Der in Nanking verrichtete indessen sein Liebeswerk. Einem der Beamten, von denen mehrere auf dem Perron standen, übergab er rasch die zahlreichen, dem unglücklichen Professorpaar zugehörenden Gegenstände, und glitt

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Gerstäcker: Auf der Eisenbahn. Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Auf_der_Eisenbahn-Gerstaecker-1865.djvu/9&oldid=- (Version vom 31.7.2018)