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hatte; ja, der in seiner Liebe bereit war, das Ungeheuerste zu vollbringen und schwerste Schuld auf sich zu nehmen, um ihn vor einem Leben im Wahnsinn zu bewahren.

Er erbebte. Plötzlich wieder war er sich der Gefahr bewußt geworden, die ihn bedrohte. Der Brief! Otto hatte den Brief in Händen, an dem Roberts Schicksal und Leben hing. Der Brief mußte aus der Welt geschafft werden: dies vor allem. Es blieb nichts anderes übrig, als ihn dem Bruder abzuschmeicheln, abzufordern, abzudrohen. Endlich einmal mußte er sich mit Otto aussprechen – über den Brief und über vieles andere … Was zwischen ihnen sich entsponnen, rätselvoll und tief, vielleicht in frühester Kindheit schon, dieses Ineinanderspiel von Verstehen und Mißverstehen, von brüderlicher Zärtlichkeit und Fremdheit, von Liebe und Haß – es mußte endlich zum Austrag kommen. Noch war es nicht zu spät für sie beide, noch einmal hatte er sein Dasein in eigenen Händen, noch einmal der Bruder das seine. Nun war für Otto der Augenblick da, sich zu entscheiden zwischen Gesundheit und Krankheit, zwischen Klarheit und Verwirrung, zwischen Leben und Tod. Er für seinen Teil, er hatte sich entschieden. Sein Geist war klar, seine Seele gerettet. Nun war auch dem Bruder noch einmal, das letztemal, die Wahl geschenkt.

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Arthur Schnitzler: Flucht in die Finsternis. Berlin: S. Fischer, 1931, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arthur_Schnitzler_%E2%80%93_Flucht_in_die_Finsternis_%E2%80%93_128.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)