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noch gelauert hatte. Albertens Brief war kurz, sachlich und zeigte wieder jene Unfähigkeit, auch anläßlich der sonderbarsten Schickungen in Erstaunen zu geraten, die ihr in noch höherem Grade als so vielen anderen Frauen eigen war. Sie lebte, wie aus ihrem Brief hervorging, in Chikago und war verheiratet, aber nicht mit dem Amerikaner, in dessen Begleitung sie hinübergereist war, sondern mit einem deutschen Kaufmann, den sie erst drüben kennengelernt hatte. „Im nächsten Sommer“, hieß es weiter, „wollen wir nach Europa reisen, und wenn wir nach Wien kommen und Du noch an mich denkst und Du mich sehen willst, werde ich Dir viel zu erzählen haben.“ Dann fragte sie, wie es ihm ergangen sei und ob er nicht, was sie ihm von Herzen wünsche, eine liebe, kleine Frau gefunden habe, die ihn nicht so nervös mache, wie es ihr, freilich ganz ohne ihre Schuld, leider öfters begegnet sei.

In froher Erregung ging Robert in seinem Zimmer auf und ab. Ihm war, als sei durch diesen Brief eine düstere, gefahrvolle Epoche seines Lebens ein für allemal abgeschlossen. Bedurfte es eines solchen Schriftstückes auch nicht mehr zu seiner eigenen Beruhigung, es war unschätzbar als Beweismittel gegen Anschuldigungen und Verdächtigungen aller Art, und er verwahrte den Brief sorgfältig, ehe er sich zu Bett legte.

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Arthur Schnitzler: Flucht in die Finsternis. Berlin: S. Fischer, 1931, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arthur_Schnitzler_%E2%80%93_Flucht_in_die_Finsternis_%E2%80%93_106.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)