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8. Satyrspiel.

Man muß es der türkischen Regierung lassen, daß sie nicht überall unempfindlich gewesen ist gegenüber der Notlage von 500 000 Menschen, die durch ihre Maßregeln aller ihrer Habe, ihrer Häuser, ihrer Saaten, ihrer Vorräte, ihrer Kleider und Betten und des täglichen Verdienstes beraubt, dem Hungertode ausgeliefert worden waren. Wir lassen es allerdings dahingestellt, ob es eine Regung des Mitleids war, die die Behörden hie und da bewog, sich der Notleidenden anzunehmen, oder ob die Regierung nur das Bedürfnis fühlte, nach der barbarischen Zermalmung und Ausplünderung der Bevölkerung auch noch den Ruhm der Humanität in Anspruch zu nehmen und gegenüber den wiederholten Anzapfungen der Botschafter, als einen Beweis ihres guten Gewissens, auf ihr „großartiges Unterstützunqswerk“ hinweisen zu können. Wir wollen die von der Regierung angeordneten Wohlthätigkeitsmaßregeln, um nichts, was zu ihren Gunsten spricht, zu unterdrücken, nicht verschweigen und alles, was wir in Erfahrung darüber haben bringen können, namhaft machen.

Zunächst wurde in umfassender Weise durch die Behörden für die Notleidenden gesorgt, indem Hunderte und Tausende von Armeniern den Gefängnissen überwiesen wurden, erstens, wie ausdrücklich geltend gemacht wurde, um sie vor den Gewaltthätigkeiten des türkischen Pöbels zu schützen und sodann, um ihnen, nach Zerstörung ihrer Häuser, eine sichere Unterkunft zu verschaffen. In Arabkir z  B. wurden nach Ermordung von 4000 Armeniern sorgfältige Nachforschungen von der Polizei angestellt und alle überlebenden armenischen Männer, ohne Ausnahme, in das Gefängnis übergeführt. Dasselbe Beispiel wurde überall, wo es Gefängnisse gab, befolgt.

Auf welcher Stufe der Humanität das türkische Gefängniswesen steht, darüber kann man sich aus den Berichten von Dillon und aus einem Dokument am Schluß dieses Artikels unterrichten. Sodann wurden große Scharen von Flüchtlingen aus den Bergdistrikten durch militärische Eskorten in die Städte transportiert. Als dem Mutessarif von Marasch Vorstellungen gemacht

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/88&oldid=- (Version vom 31.7.2018)