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Armenier in Gurun übrig geblieben ist.“ In Arabkir gaben die Behörden folgende Befehle aus: „Alle die, welche Kinder Muhammeds sind, müssen jetzt ihre Pflicht thun, nämlich alle Armenier zu töten, ihre Häuser zu plündern und zu verbrennen. Nicht ein Armenier soll geschont werden. Das ist der Befehl des Palastes. Die, welche nicht gehorchen, sind als Armenier anzusehen und ebenfalls zu töten. Darum hat ein jeder Muhammedaner seinen Gehorsam gegen die Regierung dadurch zu beweisen, daß er zuerst die ihm befreundeten Christen umbringt.“

Wenn wir auch die Frage offen lassen, ob der Befehl zu den Massacres von der persönlichen Initiative des Sultans ausgegangen ist, oder ob er durch die verschlagene Kunst der Kamarilla des Palastes mittels gefälschter Berichte und von den Provinzialbehörden eingeholter Zwangsadressen dazu vermocht worden ist, Befehle zu geben, die dann mit den nötigen Verschärfungen und praktischen Anweisungen versehen, aus dem Palast in die Provinzen weitergegeben wurden, jedenfalls trägt ein autokratischer Monarch die volle Verantwortung für die Maßregeln seiner Regierung und unwiderrufen bezeichnet ihn die Stimme seines eigenen Volkes als den intellektuellen Urheber all der Tausende von Massenmorden, Plünderungen, Schändungen und Zwangskonversionen, begangen an einem wehrlosen christlichen Volk, das das Unglück hat, ihm unterthan zu sein.

Das Urteil der Geschichte wird auch kaum ein anderes sein können, denn durch zuviel Handlungen hat sich dieser Monarch als den ersten Repräsentanten des alttürkischen Fanatismus bewiesen. Durch die Uniformierung kurdischer Räuberbanden, welche als Hamidieh-Regimenter nach seinem Namen genannt wurden, hat er die vornehmlichsten Werkzeuge zur Vernichtung seiner christlichen Unterthanen geschaffen, durch die Dekorierung und Beförderung der am meisten in den Massacres kompromittierten Regierungsbeamten hat er die Urheber der größten Schandthaten als die auserwählten Rüstzeuge seiner Politik bezeichnet und durch die Straflosigkeit von allem und jedem, was in dieser Schreckenszeit geschehen, sein Kaiserliches Siegel unter ein Regiment des Mordes und des Vandalismus ohne gleichen und unter eine der größten Christenverfolgungen aller Zeiten gesetzt.


Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/72&oldid=- (Version vom 31.7.2018)