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teurer zu stehen kommt als 20 000 Armenier, und war sehr darauf bedacht, auswärtige Verwickelungen und Zahlung von Entschädigungen zu vermeiden. Selbst da, wo man, wie in Charput, Marasch, Mersivan, Malatia, Yenidje-Kale protestantische oder katholische Missionshäuser plünderte und zerstörte, war man darauf bedacht, das Leben ihrer Insassen zu schonen. Der Pater Salvatore scheint der einzige Europäer gewesen zu sein, der dem armenischen Massenmord mit zum Opfer fiel. Wären die fanatischen Muhammedaner nicht durch strengste Befehle von oben her zurückgehalten worden, sie würden wahrscheinlich die protestantischen und katholischen Missionen zuerst überfallen und die Missionare und Priester totgeschlagen haben, denn gerade diesen wird, als den Hauptwerkzeugen der Bildung, von den Behörden die Schuld beigemessen, die Armenier durch Einpflanzung moralischer Begriffe über die Menschenunwürdigkeit der an ihnen verübten Gewaltthaten und Schändungen aufgeklärt zu haben, und europäische Diplomaten scheinen sich dieser Auffassung anzuschließen und darin einen guten Grund für ihre Abneigung gegen die christlichen Missionen zu erblicken. Viel bester, man läßt die Armenier in Unwissenheit und Sklaverei, und Europa bleibt in Ruhe.

4. Auch die Methode des Mordens und Plünderns war von oben her vorgeschrieben und wurde mit bewunderungswürdiger Gleichmäßigkeit und Präzision unter den so verschiedenartigen Verhältnissen der Provinzen gehandhabt. Mit geringen Ausnahmen war die Methode die: In möglichst kurzbegrenzter Zeit eine möglichst große Zahl von Armeniern totzuschlagen und ihnen möglichst alle ihre Habe abzunehmen und ihren Besitz zu vernichten. Hierbei wurde mit großer Sorgfalt darauf gesehen, daß von allen Männern von Einfluß, Bildung und Wohlstand (nämlich gerade denen, die bei der Durchführung der Reformen einen Anteil an der Verwaltung oder Justiz hätten nehmen können) möglichst keiner übrig blieb und ihre Familien an den Bettelstab gebracht wurden. Da man diese Auslese dem Pöbel nicht mit genügender Sicherheit anvertrauen konnte, wurden von den Valis selbst solche Listen ausgestellt und den Soldaten in die Hand gegeben. Um die armenischen Kaufleute, in deren Händen in den Städten fast 9/10 des Handels war, möglichst mit einem Schlag um alle ihre Waren zu bringen, fanden in allen größeren Plätzen die Massacres in den Geschäftsstunden

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/69&oldid=- (Version vom 31.7.2018)