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diabolischen Lügenerpressungen der Obrigkeit zu entziehen? Daß es dennoch möglich ist, dafür ein heroisches Beispiel. Vielleicht gehen unsern Lesern die Augen darüber auf, welches Maß von Blut und Thränen selbst an ganz trockenen Depeschen oder Nachrichten klebt, welche von der türkischen Regierung in die stets willigen Telegraphen-Agenturen und Bureaus der großen Weltblätter hineinlanciert werden.

„In dem Dorfe Hoh, Distrikt Charput, versprachen die Aghas, die Christen zu schützen; aber als sie überall brennende Dörfer sahen, weigerten sie sich, ihr Wort zu halten. Die Christen wurden in einer Moschee versammelt, 80 junge Männer wurden ausgewählt und zum Dorf hinausgeführt, um dort abgeschlachtet zu werden. Hunderte von armenischen Christen wurden gepeinigt, weil sie sich weigerten, Adressen an den Sultan zu unterschreiben, in denen ihre Verwandten und Nachbarn des Hochverrats beschuldigt wurden. Einer z. B. hatte sich geweigert, einen Eid zu leisten, der die besten Leute seines Dorfes dem Henker überliefert hätte. Daraufhin befahlen seine Richter, ihn zu foltern. Eine ganze Nacht wurde darauf verwendet. Zuerst empfing er Schläge auf die Fußsohlen in einem Raum, in dessen unmittelbarer Nähe sich seine weiblichen Angehörigen befanden. Dann entkleidete man ihn und band zwei Stangen, die von den Achselhöhlen bis zu den Füßen reichten, an seinem Körper fest. Dann wurden seine Arme ausgestreckt, die Hände an Stangen befestigt und dieses lebende Kreuz an einem Pfeiler festgebunden, worauf die Auspeitschung begann. Der Unglückliche vermochte kein Glied zu regen, um seine Schmerzen zu mildern, nur seine Gesichtszüge verrieten durch furchtbare Verzerrungen, welche Qualen er litt. Je lauter er schrie, um so wuchtiger fielen die Hiebe. Wiederholt fragte man ihn, ob er den Eid leisten wolle. Aber er antwortete stets: „Ich kann meine Seele nicht mit unschuldigem Blut beflecken, ich bin ein Christ!“ Nun holte man Zangen herbei, um ihm die Zähne auszureißen, stand aber davon ab, da er fest blieb. Ein Beamter gab hierauf seinen Dienern den Befehl, dem Gefangenen die Barthaare einzeln mit den Wurzeln auszuziehen. Es geschah unter lautem Hohngelächter. Als auch dies nichts half, hielt einer einen glühenden Bratspieß an die Hände des Unglücklichen, dessen Fleisch brannte, und der in seiner Qual ausrief: „Um Gottes Barmherzigkeit willen tötet mich gleich!“ Die Henker nahmen hierauf das rotglühende Eisen von den Händen

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/59&oldid=- (Version vom 31.7.2018)