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Ja, so ist es. Für all die Aermsten giebt es keine Möglichkeit der Rückkehr zu ihrem väterlichen Glauben. All die Zehntausende, die jetzt in ihren weiland christlichen Kirchen muhammedanischen Gottesdienst verrichten, all die Priester, die man zum Hohn ihres früheren Amtes gezwungen, als Mollahs oder Muezzins den Namen Muhammeds zu verkündigen, sie alle müssen es verlernen, im Namen Jesu ihre Kniee zu beugen. Nicht einmal ihre christlichen Namen durften sie behalten. Die Ohannes, Bedros, Mattheos wurden in Mustafa, Achmed, Abdallah verwandelt. Die schlauen Türken faßten wohl ins Auge, daß die Zwangsmuhammedaner in besseren Zeiten wieder abfallen könnten, und man sicherte sich klüglich gegen solchen Verrat an der heiligen Sache des Islam. Das prompteste Mittel fanden die Türken von Aivose, die den christlichen Priester, den sie gezwungen, auf das Minaret zu steigen und als Muezzin die Gläubigen zum Gebet zu rufen, sobald er herunterkam, erschossen. Und ebenso besorgt um das Seelenheil ihrer Konvertiten waren die Türken von Garmuri, die die zur Beschneidung niederknieenden Christen bei dem feierlichen Akte selbst umbrachten. Auch die Bewohner des Dorfes Plur (Distrikt Baiburt) wurden schleunigst ins Paradies befördert, nachdem sie den Islam angenommen. War es nicht barmherzig, sie zu erschießen, da, wie die Türken geltend machten, Gefahr vorhanden war, daß sie im Herzen Christen bleiben, später wieder abfallen und ihre Seligkeit einbüßen könnten?

Eine weniger radikale, aber um so scharfsinnigere Methode, den einmal erfolgten Uebertritt unwiderruflich zu machen, wird aus einer großen Zahl von Städten und Dörfern berichtet, wo man die Neophyten-Familien zwingt, mit ihren neuen Glaubensgenossen verwandtschaftliche Bande zu knüpfen. Christliche Priester braucht man nur mit zwei oder drei türkischen Frauen zu verheiraten, um sie ein für allemal für ihren früheren Beruf zu verpfuschen. Haben sie noch Grund zur Klage, wenn dafür die Mollahs die Freundlichkeit haben, die Frauen derselben von ihren Gatten zu scheiden und in ihren Harem aufzunehmen? Daß vonseiten ihrer Glaubensbrüder dafür gesorgt wurde, daß sie herdenweise mit Turbans bedeckt, in die Moscheen geführt und zu den Exerzitien des Namaz (Gebets) aufs Peinlichste gedrillt wurden, wer sollte das ihrem religiösen Eifer nicht zutrauen? Weh dem, der sich irgend eine Versäumnis seiner rituellen Pflichten zu Schulden kommen läßt! Man bedarf keines weiteren Vorwandes,

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/41&oldid=- (Version vom 31.7.2018)