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Sind wir durchdrungen von dieser gesellschaftlichen Zusammengehörigkeit und unserer gegenseitigen Verpflichtung, welche uns alle miteinander verbindet, dann werden wir unser Ohr nicht verschließen gegen den Ruf, der von den blutgetränkten Gefilden Armeniens durch die Gesellschaft bis hinauf zum Throne des Lammes zum Himmel geht: „Rächet unser Blut, welches in Strömen vergossen worden!“ (Bravo!) Wir wollen für die Menschenrechte unsere Stimme erheben, laut und immer lauter. In der Heiligkeit des verkannten und mißhandelten Rechtes liegt eine unwiderstehliche Kraft. Wir wollen einen geistigen, christlichen Eroberungszug der Barmherzigkeit nach Armenien. In der Einigung der menschlichen Gesellschaft, in der Verbindung der Völker untereinander hat das Christentum seine große, weltüberwindende Macht bewährt und seine glorreichsten Triumphe gefeiert. Die Heimsuchung unserer fernen christlichen Brüder in Armenien muß zu unserm Schmerz und zu unserer wirkungsvollen Teilnahme werden. Es ist der große christliche Gedanke der Einheit, von dem die ersten Christen erfüllt waren, als bei dem Liebesmahl der christlich gewordene Senator mit dem Sklaven als gleich Geborenen aus derselben Schüssel aß und ihm den Kuß des Friedens gab. Uns darf so wenig wie dem Apostel gelten: Grieche oder Römer, Scythe oder Barbar, wir wollen eins in Christo sein. Darum wird die Not der Armenier unsere Not. Darum erheben wir unsere Stimme. Darum spenden wir unsere Gaben. Darum reichen wir uns untereinander die Hände zu dem schönen Werk christlicher Barmherzigkeit. Wie war einst, als die christliche Welt noch geeint war, die Macht des christlichen Namens groß. Wie weltüberwindend war die christliche Gesellschaft, als sie noch ihr Haupt und ihren Schlußstein im Fürsten der Apostel hatte; als der Papst, der Protektor des Gewissens der Menschheit, der Wächter und Schutzgeist der sittlichen Ordnung in der Welt, Friedensfürst und Friedensstifter unter den Völkern war. Wie oft hat in der Weltgeschichte der Papst, betend auf seinen Knieen liegend, mit den vereinten christlichen Fürsten durch Gottes Wundermacht Türkenhaß überwunden, Türkennot vom christlichen Europa abgewehrt. Das hat der verewigte Kaiser Wilhelm I., Sieger in den Schlachten, wie kein anderer erfaßt, als er unsern Papst Leo XIII. zum Friedensvermittler in einer hochbedeutenden Völkerfrage erwählte. In seinen Fußstapfen wandelt, des großen Ahnen wert, sein kaiserlicher Enkel Wilhelm II. Möge es

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/273&oldid=- (Version vom 31.7.2018)