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Ereignisse des Jahres 1895 in Kleinasien.
Vilajet Trapezunt.
Ort. Datum. Tote. Verwundete. Bericht über die Ereignisse und ihre Ursachen. Haltung der Behörden und der Bevölkerung.
Trapezunt 2. Okt.       Bahri Pascha, Ex-Vali von Wan, und Hamdi Pascha, Kommandierender General und Divisionskommandeur, wurden leicht verwundet von zwei Schüssen, die man Armeniern zuschrieb.      
4. 5. Okt.      Durch die Nachricht von den Unruhen, die am 30. September in Konstantinopel stattfanden, entstand eine lebhafte Aufregung unter den Muhammedanern. Am Abend des 4. drangen 3000 bewaffnete Muhammedaner teilweise aus den benachbarten Dörfern in die Stadt und griffen die Quartiere der Christen an. Nach Angabe des Vali war der Anlaß der Unruhen eine Privatstreitigkeit zwischen Armenien, und Türken, aber der Umstand, daß ein Teil der muselmännischen Manifestanten aus Dörfern gekommen war, die mehrere Stunden von Trapezunt entfernt liegen, ist ein klarer Beweis, daß die Sache ihrerseits prämeditiert war. Ueberdies hatten die Muhammedaner der Stadt über Tag bedeutende Einkäufe von Waffen im Bazar gemacht und hatten dazu versucht, sich eines Waffendepots zu bemächtigen. Die Konsuln wurden unmittelbar beim Vali vorstellig, der während der Manifestation vom Lande in die Stadt zurückkam.      Die Haltung des Vali war zufriedenstellend, die der militärischen Behörden langsam und zögernd.
     Der Bericht der Behörden über den Ursprung der Ereignisse erscheint unrichtig, der Streit hat nur zwischen Muselmännern stattgefunden.
8. Okt. ca. 600, wovon 20 Mh.      Um Mittag entstand eine Panik in allen Teilen der Stadt und Schüsse wurden von allen Seiten gehört. Die Untersuchung der Konsuln ergaben, daß keine Provokation vonseiten der Armenier      Auf das Signal liefen die Mahonadjis Lazen am Hafen zu ihren Booten, um ihre
vorlag. Die Stadt war ruhig, als auf ein Trompeten-Signal der Aufruhr ausbrach. Gleicherweise hörte er auf ein ebensolches Signal um 3 Uhr auf. Alle Armenier, die man auf der Straße antraf, wurden ermordet, die Mörder drangen auch mit Gewalt in die Läden, töteten die Kaufleute und raubten ihre Waren. Nur die Häuser der Fremden wurden geschont, offenbar auf Befehl. 150 Personen flüchteten sich in das russische Konsulat, ebenso boten alle andern Konsulate den von den Mördern Verfolgten Zuflucht. Das Anwesen frères de la Doktrine Chretienne nahm bis zum 15. Oktober mehr als 2000 Personen auf.
      Mehr als 60 Armenier flüchteten an Bord des russischen Packetbootes und konnten nur mit Mühe den hartnäckigen Verfolgungen der Bootsleute entrinnen, die sie zu töten suchten, ehe sie an Bord kamen.
Waffen zu holen. An mehreren Orten wurden Soldaten betroffen, wie sie den Mördern und Plünderern Beistand leisteten. Auch sah man höhere Offiziere, die geraubte Sachen auf Wagen laden und in ihre Wohnungen bringen ließen. Die Plünderung wurde von den Behörden bis zum Abend geduldet. Erst am 10. kamen 150 Soldaten, die der Vali am 5. versprochen hatte, von Rizé an.
     Das Kriegsgericht, welches eingesetzt wurde, um die Urheber der Verbrechen vom 8. Okt. ausfindig zu machen, beschränkte sich darauf, den Muhammedanern Ratschläge zu erteilen.
     Die Armenier dagegen wurden dagegen en masse arretiert unter dem Verwande, sie gegen die Anschläge der Muhammedaner zu schützen.
     8 wurden zum Tode verurteilt und 25 zu mehreren Jahren Gefängnis.
24. Nov.      Ein Versuch, neue Unruhen hervorzurufen, wurde sofort verhindert.
     Mehr als 1500 Armenier schifften sich in dem den Unruhen folgenden Monat nach Rußland ein.
     Der materielle Verlust wird auf 200 000 t. Pfd. (ca 4 Mil. Mark) geschätzt.

     Seitdem hat das Vertrauen noch nicht wiederkehren können. In wirtschaftlicher Beziehung ist die Stadt ruiniert, und die Beunruhigung unter den Christen dauert mit gutem Grund fort. Die Griechen vom Lande wandern in großer Zahl aus.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Leipzig 1897, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/214&oldid=- (Version vom 31.7.2018)