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mit meiner Familie, wir hatten nur noch zwei türkische Pfund an Geld bei uns. Die Soldaten jedoch hielten uns an und nahmen uns die ganze Barschaft ab. So kamen wir nach Rußland so arm wie an dem Tage, an dem wir geboren waren.“

Mit der Ausrottungspolitik geht es also flott und glatt voran. Die christliche Bevölkerung wird dezimiert, die Dörfer wechseln ihre Besitzer mit derselben Geschwindigkeit, mit welcher im Lustspiel die Kulissen wechseln. Die Auswanderung nach Rußland und die Prozessionen nach den Friedhöfen nehmen immer größere Ausdehnungen an. Es ist hier nicht der Ort, eine Liste der Dörfer zu geben, die muhammedanisch geworden sind, aber ein typischer Fall kann uns einen Begriff davon geben, wie das gemacht wird. „In dem Vilajet von Bitlis giebt es ein Dorf, welches Kadjloo, d. i. Dorf des Kreuzes, heißt. Jetzt ist es ein Dorf des Halbmondes. Die Mittel, durch welche der plötzliche Wechsel bewirkt wurde, sind dieselben, die wir schon beschrieben haben. Mohammed Emin führte eine Bande von Kurden gegen das Dorf, nahm es sozusagen mit Sturm und, wie die Türken sich anschaulich ausdrücken, „setzte sich darin nieder“. Glücklicherweise ist das Dorf nur fünf Meilen entfernt von dem Sitze des türkischen Bezirks-Gouverneurs, aber unglücklicherweise, für die Armenier wenigstens, weigerte sich derselbe, irgend etwas für sie zu thun. Sie wurden so weggetrieben wie die Schafe. Vielleicht ist es einer von den Fällen, in welchen das geschorene Lamm vor dem Winde beschützt wird. Dann machten sich die Eroberer daran, die Nachbardörfer auszuplündern und besonders Piran, welches ungefähr eine Meile entfernt liegt. Auch dieses Dorf würde die Besitzer gewechselt haben, wenn nicht einer der Bewohner auf einen erleuchteten Gedanken gekommen wäre. Dieser bestand darin, daß ein Kurde mit Namen Assad Agha eingeladen wurde zu kommen und sich mit seinen Leuten in Piran einzuquartieren. Derselbe geruhte für sich selbst 20 Kornfelder, zehn Wiesen und ein geräumiges zweistöckiges Haus anzunehmen und als Gegenleistung übernahm er es. die Armenier vor Mohammed Emin und seinen Spießgesellen zu beschützen. 300 hervorragende Einwohner des Distriktes Khnuß übergaben mir, als ich Armenien verließ, eine von ihnen unterzeichnete Petition und baten mich, dieselbe dem „menschenfreundlichen und edlen Volke von England“ vorzulegen. In diesem Schriftstück erklären sie mit Recht: „Wir versichern und erklären

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/194&oldid=- (Version vom 31.7.2018)