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bei dem Gouverneur von Wan, aber er sagte, er könne in der Sache nichts thun. Zehn Tage später kamen die Kurden wieder, sie nahmen uns unsern Weizen, unsere Gerste, unser Vieh und verbrannten das Heu, das sie nicht mitnehmen konnten. Dann stürzten sie den Altar unserer Kirche um, weil sie Gold und Silber dort zu finden hofften. Wieder flehten wir die Behörden an, uns zu beschützen, aber der Bescheid war: Wir werden euch abschlachten wie die Schafe, wenn ihr noch einmal wagt herzukommen und gute Muhammedaner zu verklagen.“ So rafften wir denn von unserer Habe so viel zusammen, als wir konnten, und machten uns auf den Weg nach Rußland. Als wir in die Nähe von Sinok gekommen waren, überfielen uns sechs bewaffnete Kurden, raubten uns alles, was wir hatten, ließen uns nichts als die Kleider, die wir auf dem Leibe hatten, und trieben uns über die Grenze.“

Sarkiß Mardirossian aus dem Dorfe Utchkilisse[WS 1] (Sandjak Alashkerd) sagte aus: „Ich wanderte mit meiner Familie, die aus 5 Seelen bestand, aus, weil ich zu Hause nicht mehr leben konnte. Die Kurden kamen und verbrannten all’ mein Heu u. s. w., dann trieben sie die 100 Kühe, 50 Ochsen und 300 Schafe, die dem Dorfe gehörten, weg. Wir konnten die Steuern nicht mehr bezahlen, und da wir von den Zaptiehs gefoltert zu werden befürchteten und auch thatsächlich schon Hunger litten, mußten wir gehen. In Kiatoog nahmen uns die Kurden alles, was wir hatten, und jagten uns über die Grenze.“

Khatsho Garabedian aus dem Dorfe Kiavurmi (Sandjak Khnooß) bekundet: „Ich bin 45 Jahre alt. Der Grund, warum ich mit meiner Familie auswanderte, war der, daß die türkischen Behörden den Kurden erlaubten, mich beinahe meiner ganzen Habe zu berauben, und dann kamen die türkischen Zaptiehs und verlangten die Steuern, die ich nicht bezahlen konnte. Darauf sagte der Oberste der Zaptiehs zu mir: Du hast kein Geld, aber du hast eine hübsche Frau. Leihe sie mir, und ich werde dir dafür den Empfang der Steuern quittieren.“ Es gelang mir, meine Frau in ein anderes Haus zu bringen, und als der türkische Beamte sah, daß er sie nicht entehren konnte, strafte er mich. Zuerst wurde kaltes Wasser über mich geschüttet, dann wurde mir Mist und anderer Unrat ins Gesicht gerieben, dann wurde ich an einem Riemen, den sie mir um den Hals gelegt hatten, durch das Dorf geschleift, zuletzt nahmen sie mir meinen Ochsen, das einzige Stück, das mir von meiner Habe geblieben war, weg. Nun floh ich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Utchkillsse
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/193&oldid=- (Version vom 31.7.2018)