Seite:Armenien und Europa. Eine Anklageschrift.pdf/189

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ihn um seine Reichtümer und begehrte dieselben an sich zu bringen, und da ihm dies nicht gelang, ging er darauf aus, den Besitzer zu vernichten. – Zu diesem Zweck ließ er im vergangenen Herbste Meliks Heu, Korn etc. verbrennen. Dann kamen die Leute des Sheikh, nahmen 5 seiner Pferde weg und töteten 150 Schafe; die toten Körper ließen sie da, wo sie lagen, verfaulen. Das war unsinnige Vergeudung in einem Lande, wo die Leute meistens arm und oft hungrig sind. Melik ging daher nach Kop, wo der Kaimakam residierte und rief die Gesetze um Hilfe an. – Während er in Kop verweilte und seine Söhne in Geschäften abwesend waren, drangen die Leute des Sheikh in sein Haus ein, ermordeten die zwei Kinder von Meliks ältestem Sohn und entführten dessen hochschwangere Frau. Als Melik von dieser Unthat hörte, machte er sich nach Erzerum auf um die Sache der Provinzialregierung vorzulegen. Die Folge dieser Klage war, daß Selim Pascha beauftragt wurde, die Sache zu untersuchen und die Herausgabe der Frau zu betreiben. Die Kinder konnten natürlich nicht auferweckt, und der Mörder nicht bestraft werden. – Der Räuber der Frau erklärte, er werde sie nicht herausgeben, da sie bereit sei, den Islam anzunehmen. Nun wandte sich Selim Pascha zu Melik und fragte: „Was wirst du sagen, wenn deine Schwiegertochter öffentlich erklärt, daß sie Muhammedanerin werden wolle.“ – „Ich werde sagen, daß wir lieber auch Muhammedaner werden wollen, ehe wir zugeben, daß unsere Weiber und Töchter in die Hände anderer fallen.“ Nun wurde die Frau geholt. Als aber Melik sah, daß sie von Sheikhs umgeben war und sich fürchtete, die Wahrheit zu sagen, sagte Melik zum Pascha: „Sie ist krank. In wenigen Tagen wird sie Mutter sein. Laß sie bis dahin in Ruhe und bringe sie in der Zwischenzeit in irgend einem türkischen Hause in Erzerum unter. In 14 Tagen wollen wir hören, was sie zu sagen hat.“ Dem stimmte alles zu, und der Pascha ging weg. Drei Tage nachher wurde der Gatte der Frau (Meliks ältester Sohn) am hellen Tage von Kiamils Leuten getötet. Sogar die türkische Familie, wo sie untergebracht war, wurde so geängstigt, daß sie die Sheikhs bat, die Frau wieder abzuholen; sie wollten nichts mehr mit der ganzen Sache zu thun haben.

Bald darauf erschoß Meliks zweiter Sohn, Mgirdutch, zwei der Sheikhs auf dem Felde. Es war dies gewiß sehr unrecht und unchristlich, und derartige Fälle geben dann den korrekten Leuten in Europa einen

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/189&oldid=- (Version vom 31.7.2018)