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Isaag dort ankam, und daß er denselben vor ihren Augen erschossen habe. – Dies unterschrieben sie. Inzwischen wurde Markar in einem andern Teile des Gefängnisses gemartert.

Als die Gerichtsverhandlung eröffnet und das Protokoll vorgelesen wurde, streiften die Unterzeichneten vor Gericht ihre Kleider ab und zeigten die Spuren, welche die heißen Eisen hinterlassen, und riefen Gott zum Zeugen an, daß jene Aussage, die ihnen durch die wahnsinnigste Qual erpreßt worden war, eine Lüge sei. Markar seinerseits erklärte, daß er in jener Nacht gar nicht im Dorfe gewesen sei. Aber dies alles war belanglos; er wurde letztes Jahr gehängt, und die Zeugen zu verschiedenen Strafen verurteilt. Einige der Frauen starben infolge der Mißhandlungen durch die Zaptiehs. Die Gefängniswärter werden reich von dem Geld, das sie von den Insassen der Zellen erpressen. – Der Schließer im Bitlis-Gefängnis, Abdulkadis, ein Sichweinehund sondergleichen, verdient kolossale Summen auf diese Weise. Er gab neulich 500 türk. Pfd. für sein Haus aus, und von zwei oder drei türkischen Kaufleuten sagt man, daß sie ihre Geschäfte mit seinem Kapitale betreiben, obgleich sein Gehalt nur 50 Schilling im Monat betrügt. Diese Summen geben ihm die Gefangenen nicht für irgend einen Dienst, den er ihnen leistet, sondern nur um sich von den Foltern loszukaufen, die er ausschließlich zu diesem Zwecke anwendet. Folgender Fall mag einen Begriff von der Art der Dienste geben, für die so hoch bezahlt wird. Etwa vor fünf Monaten wurden drei Männer aus dem Dorfe Krtabaz verhaftet und eingekerkert. Die Thatsache, daß sie zehn Wochen später ohne Verhör entlassen wurden, beweist zur Genüge, wie unschuldig sie waren. Sie wurden in das Gefängnis von Haffankaleh gebracht. Die Zelle, in welche sie eingesperrt wurden, war überfüllt. Das Wort „Ueberfüllung“ bedeutet in Armenien nicht das Gleiche wie in Europa. Sie hatten überhaupt keinen Platz sich hinzulegen. Einige kurdische Gefangene, die in demselben Loche eingesperrt waren, und die besondere Vorrechte genossen, hatten nur 2½ Fuß Raum zum Schlaf. In der Ecke der Zelle stellte ein Loch in der Mauer die sanitäre Vorrichtung des Gefängnisses vor, und den Armeniern wurde gesagt, daß sie an diesem Loche stehen müßten und sich zum Schlaf gegen die Mauer lehnen könnten. – Dies thaten sie 15 Nächte hintereinander. Der Gestank, der Dreck, das Ungeziefer überstieg alle Begriffe. Nach 15 Tagen gaben sie

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/187&oldid=- (Version vom 31.7.2018)