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Antwort: Ja. Aber wir wollten es eigentlich nicht. Wir wollen nur Beute, nicht Menschenleben. Menschenleben haben für uns keinen Wert. Aber wir mußten manchmal den Leuten eine Kugel geben, um sie still zu machen, d. h. wenn sie Widerstand leisteten.

Frage: „Benütztet ihr oft Dolche?“

Antwort: „Nein, gewöhnlich unsere Gewehre. Wir müssen leben. Im Herbste sorgen wir dafür, daß wir soviel Korn bekommen, als wir den Winter durch brauchen und Geld dazu. Wir haben auch Vieh, aber wir bemühen uns nicht damit. Wir geben es den Armeniern, und lassen es von ihnen besorgen und füttern.

Frage: „Aber wenn sie sich weigern?“

Antwort: „O, dann treiben wir ihnen ihre Schafe weg, verbrennen ihnen ihre Häuser, ihr Heu und ihr Korn. Und so weigern sie sich lieber nicht. Wir verlangen im Frühjahr unser Vieh zurück und die Armenier müssen dieselbe Anzahl abliefern, die sie erhalten haben.“

Frage: „Aber wenn das Vieh an einer Seuche sterben sollte?“

Antwort: „Das ist Sache der Armenier. Sie müssen zurückgeben, was sie bekommen haben, oder wenigstens die gleiche Zahl. Das wissen sie gut. Wir können den Verlust nicht aushalten. Aber sie, warum nicht? Beinahe alle unsere Schafe sind von ihnen.“

Nachdem ich noch einer Menge von Erzählungen über seine Expeditionen, Mordthaten, Raubzüge, Entführungen etc. zugehört hatte, fragte ich wieder: „Kannst du mir noch weitere kühne Thaten erzählen, Mostigo, damit ich sie den 12 Mächten berichten kann?“ Ich erhielt die charakteristische Antwort:

„Der Wolf wurde einmal gebeten: Erzähle uns doch etwas von den Schafen, die du zerrissen hast! und er sagte: Ich habe Tausende von Schafen gegessen, von welchen derselben soll ich erzählen? So ist es auch mit meinen Thaten. Wenn ich zwei Tage lang forterzählte, würde noch vieles unerwähnt bleiben.“

Dieser Räuber ist ein Kurde und solcher Kurden giebt es viele. Ex uno disce omnes. – Und doch haben sich die Kurden als die menschlichsten unter allen Verfolgern der Armenier gezeigt. Wenn dieser Mensch Geld brauchte, dann raubte er; war er wollüstig, dann entehrte er Frauen und Mädchen; wenn er seine Beute verteidigte, tötete er Männer und Frauen, und bei alledem fühlte er sich völlig

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/178&oldid=- (Version vom 31.7.2018)