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Armenier hängen. Zweifellos giebt es ja schlimmere Dinge als den Verlust des Eigentums – und kühle Engländer möchten ihre Sympathien lieber für diejenigen aufsparen, die jene erduldet haben – aber auch ein solcher Verlust ist schlimm genug, wenn er herbeigeführt wird nicht durch ein Verbrechen oder Zufall oder Nachlässigkeit, sondern lediglich durch schamlose und empörende Ungerechtigkeit, zumal wenn der Verlierer eine Familie von 15–20 Personen zu ernähren hat. Und daß der Verlust des Eigentums sehr oft viel größere Verluste in sich schließt, werden wir nachher sehen.

Im Juli 1892 kam ein Kapitän von Sr. Majestät Hamidieh-Reiterei, Idris mit Namen, eine Zierde des Hassanly-Stammes, nebst seinem Bruder, um eine Kontribution an Futter von den Einwohnern von Hamsisheikh einzufordern. Sie wandten sich an zwei armenische Notabeln, Ali und Hatchadoor, und befahlen ihnen, das verlangte Heu herbeizuschaffen. „Wir haben im ganzen Dorfe nicht so viel“, antworteten sie. „Schafft das Heu herbei ohne viele Umstünde, oder ich schieße euch tot“, erklärte Jdris. „Aber so viel Heu giebt es nicht, und wir können es nicht verschaffen.“ „Dann müßt ihr sterben“, sagte der edle Kapitän und schoß sie auf der Stelle tot. Eine feierliche Klage wurde gegen Idris eingereicht, und der Kaimakam, zu seiner Ehre sei es gesagt, ließ ihn arretieren und behielt ihn vier Wochen im Gefängnis. Dann bezahlte der Ehrenmann das übliche Lösegeld und wurde freigelassen. Ungefähr 30 ähnliche Mordthaten wurden in demselben Distrikte von Bulanyk in jener Zeit mit der gleichen Oeffentlichkeit und der gleichen Straflosigkeit verübt.

Zuerst pflegten die Armenier zu klagen, wenn ihre Verwandten oder Freunde getötet wurden, in der Hoffnung, daß der Arm der strafenden Gerechtigkeit die Mörder ergreifen und andere, die sich versucht fühlen könnten hinzugehen und desgleichen zu vollbringen, abschrecken werde. Aber es wurde ihnen bald abgewöhnt. Auf welche Weise dies geschah, kann man aus dem folgenden Vorgang ersehen: Im Juli 1892 ritt ein Kurde, Namens Achmed Oglor Badal, nach Govanduk und trieb 4 Ochsen weg, die einem Armenier, Namens Morkho, gehörten. 1892 wurde das Gesetz, welches den Christen verbietet, Waffen zu tragen, noch nicht strikt beobachtet. Morkho also, der einen Revolver hatte, und sah, daß der Kurde im Begriff war zu schießen, feuerte auf ihn. Beide Schüsse gingen gleichzeitig los,

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/166&oldid=- (Version vom 31.7.2018)