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großen Teil zerstört. Im Vilajet Wan zählen die Getöteten im Unterschied von anderen Vilajets nur nach Hunderten, dank dessen, daß dort überwiegend Kurden und nicht Türken die Werkzeuge der Vernichtung waren, welche gegen den Wunsch der Behörden nur plünderten, während die letzteren (und das gilt für alle Provinzen) mehr aufs Morden bedacht waren. Das Versäumnis wurde in den neuesten großen Massacres nachgeholt. Bei diesen wurden nach dem neuesten Bericht in der Frankfurter Zeitung vom 15. August (siehe Nr. II.) in den Tagen vom 14. bis 22. Juni dieses Jahres in Wan selbst über 1000 umgebracht. In den Landdistrikten werden die Erschlagenen auf mindestens 20 000 berechnet.

Die Zahl der Hilfsbedürftigen, die ohne Unterstützung dem Hungertode verfallen, betrug im Mai in der Stadt Wan 13 000, in den Landdistrikten 70 000. Wir bemerken noch beiläufig, daß im Vilajet Wan und zwei Distrikten von Bitlis 236 Kirchen und 53 Klöster geplündert und zum großen Teil völlig zerstört wurden, während 245 Dörfer zwangsweise zum Islam bekehrt und 116 Kirchen in Moscheen verwandelt wurden. Die uns vorliegenden Listen mit Namen sämtlicher Dörfer und Kirchen erstrecken sich aber nicht einmal auf alle Distrikte des Vilajets. Daß sich an den Plünderungen im Vilajet die neugeschaffenen Hamidijeh-Regimenter (irreguläre kurdische Reiterei) in erster Linie beteiligten, braucht kaum erwähnt zu werden.

Blutbäder im Vilajet Mamuret-ul-Aziz.

In Charput griffen am 10. und 11. November, ohne irgend welche Provokation von seiten der friedlichen Armenier, die Türken das armenische Quartier an und töteten die Einwohner. Durch den Botschafter-Bericht wird die Beteiligung der Offiziere und Soldaten an der Plünderung festgestellt, aber auch an dem Massacre selbst beteiligte sich das Militär mit Gewehrsalven und Kanonenschüssen. Eine Granate platzte in einem der Häuser der protestantischen Mission, der ihr ganzes Eigentum, sechs Missionshäuser und Schulen, zerstört wurde. Bei dem Massacre in Charput wurden 900 Armenier getötet, während nach dem Bericht des Vali von Erzerum nur 12 Muhammedaner dabei umkamen. Die Zahl der Verwundeten ist eine enorme. Die Kurden behaupten, wie der Botschafter-Bericht feststellt, im Einvernehmen mit den Behörden gehandelt zu haben.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/16&oldid=- (Version vom 31.7.2018)