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3. Das Blutbad in Schepik
am 2. November 1895.

Schepik bei Arabkir wurde am 2. November geplündert. 400 Bewaffnete unter der Führung des Saru Schechekli-Kurd-Oghlu überfielen das Dorf und feuerten auf dasselbe bis Mittag. Als die Aeltesten des Dorfes mit ihnen zu verhandeln suchten, forderten sie 100 türk. Pfd. als Lösegeld. Sie wurden gezahlt, aber die Angreifer wollten nicht gehen. „Ihr müßt uns noch eure Uhren geben!“ Man gab sie, aber sie gingen nicht. „Ihr müßt uns auch eure Waffen geben!“ Man gab sie, aber sie gingen nicht. „Wir werden euer Korn, eure Kühe und Ziegen nehmen!“ Sie nahmen sie und waren doch nicht zufrieden. „Wir werden durch eure Häuser gehen und uns nehmen was uns gefällt!“ Sie thaten’s und schleppten alle wertvolle Habe weg. Darauf sandten wir sieben junge Leute in die Stadt, um die Regierung zu benachrichtigen. Sie wurden eingekerkert und kamen nicht wieder. Einige Tage später versuchte einer zu entfliehen und wurde erschossen. In der Nacht nach dem ersten Angriff hofften wir, daß alles vorüber sei, aber am nächsten Morgen kamen die Türken der umliegenden Dörfer und drohten uns zu töten, wenn wir nicht unsere Häuser verlassen würden. So gingen wir heraus und sie kamen herein zum Plündern. Acht Tage lang verbrannten sie unsere Häuser, nachdem sie sie ausgeleert hatten; nur 10 der ärmsten Häuser blieben stehen. Aber auch von ihnen nahm man Thüren und Fenster mit, und selbst die Dachsparren wurden aus einigen herausgezogen. Darauf überfielen sie die Frauen und nahmen ihnen ihre Schuhe und Kleider ab. Am 8. Tage, nachdem sie ihr Werk beendigt hatten, kamen sie zu uns, die wir am Ufer des Stromes saßen, töteten am andern Ufer Pastor Melkon und Bruder Baghdos Sohn, weil sie sich weigerten, ihren Glauben zu wechseln. Es wurde Nacht, Finsternis brach herein. Aber sie kamen mit Laternen und wählten 45 junge Leute aus, indem sie sagten, die Regierung wünsche sie zu haben; da sie wußten, was ihnen drohte, erbaten sie sich eine Stunde Gnadenfrist. Sie beteten und sangen, sie baten einer den andern um Vergebung, sie küßten die Hände

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/146&oldid=- (Version vom 18.7.2022)