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versicherten sie, daß sie nichts zu fürchten hätten und drängten sie, das Geschäft wieder aufzunehmen.

Am 26. November, dem Tag des Jahrmarktes, schickten die Behörden die Menge der Tscherkessen und der Dorfleute, welche gekommen waren, aus der Stadt heraus, und überließen die Stadt ihren gewöhnlichen Einwohnern. Da die Furcht der Armenier wuchs, sandte ihnen der Gouverneur ein Schriftstück folgenden Inhalts: „Die Regierung macht sich all’ diese Ausgaben, um euch zu schützen; wenn ihr noch Furcht zeigt, so ist dies eine Beleidigung der Regierung, wofür ich euch als Rebellen behandeln und eure Bestrafung verfügen werde.“ Infolge dessen waren am 28. November die meisten armenischen Ladenbesitzer auf ihren Plätzen und von denen, deren Geschäft ohne Laden betrieben wurde, wurden 50 bis 60 der Vornehmsten durch die Polizei in ein Kasino im Markt unter dem Vorwand von Steuerangelegenheiten bestellt.

Plötzlich am Mittag ertönte ein Trompetensignal und die türkischen Soldaten fielen im Verein mit dem Pöbel über die Armenier her. mit dem Ruf: „Nieder mit den Armeniern! Das ist der Befehl des Sultans! Ihr Eigentum gehört der Krone! Gute Gelegenheit zu plündern!“ Der Hauptmann gab 40 bis 50 Soldaten Befehl, das Feuer zu eröffnen. Von den im Kasino versammelten wurden alle bis auf 20 getötet; die letzteren entkamen, wenn auch verwundet. In 2 Stunden waren 200 Läden geplündert.

Der Gouverneur rief in die Menge: „Seid rührig! Hört nicht auf zu töten, zu plündern und zu beten für den Sultan!“ Die andern Offiziere beteiligten sich am Morden. Ein Major überwachte die Verteilung von Patronen, als der Vorrat zu Ende war. Die Offiziere sorgten dafür, daß der wertvollste Raub durch ihre Leute für sie beiseite geschafft wurde.

Vom Markt aus verbreitete sich der Angriff durch mehrere organisierte Banden in die verschiedenen Quartiere der Stadt. Die Soldaten feuerten über die Mauern, in die Fenster und auf jeden, der sich sehen ließ. Durch ihr Feuer gedeckt, erbrach der Pöbel die Thüren. lieferte die zurückgebliebenen Einwohner aus und plünderte die Häuser. Ein vornehmer Mann, lange Zeit Mitglied des „Iraed Medjlisi“ (des Gerichtshofes), wurde mit seinen beiden Söhnen getötet und von einem oberen Fenster hinuntergestürzt, mit den Worten: „Mach, daß du fortkommst; der Gouverneur erwartet dich in der Sitzung.“ Eine Frau

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/144&oldid=- (Version vom 31.7.2018)