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mit, was sie nicht mitnehmen konnten, wurde der Zerstörung und dem Feuer überliefert, auch die Häuser. Das Land ist eine Einöde. Die Leichen liegen noch jetzt größtenteils unbeerdigt da und verbreiten pestilenzialischen Geruch, daß die Folge Epidemien sein müssen, die schon aufzutreten beginnen. Ein Wagen nach dem andern kommt mit blutigen Kleidungsstücken an, welche den Christen geraubt sind, Frauen und Kinder werden nackt ausgezogen, wenn man sie in die Gefangenschaft zu schleppen keine Lust hat, nicht das geringste Kleidungsstück wird ihnen belassen.

In Zeitun sind Typhus und schwarze Pocken ausgebrochen und drohen epidemisch zu werden.

In dem Kloster Mar Kriarkos, etwas links von der Straße die von Diarbekir nach Sert führt, brach die Cholera aus, so daß täglich 50 Todesfälle vorkamen. In dieses Kloster und den Ort hatten sich nämlich 1500 Familien aus der Umgegend geflüchtet, von denen 2–3000 Personen in den Klostergebäuden selbst eingepfercht waren. Auch in Sert brach die Cholera aus. Infolge der Verarmung der Gegend und der allgemeinen Unsicherheit fängt auch die arabische und kurdische Stadtbevölkerung, besonders die kleinen Handwerker und Arbeiter, an, Mangel zu leiden, da sie keine Beschäftigung finden.

Ein von 29 Witwen unterschriebener Brief, mit Bitten um Hilfe, ist aus einem Dorf bei A... erhalten worden. Diese Witwen sagen: „Unsere Männer waren vor den Metzeleien gestorben, und wir waren arm, aber wir hatten Arbeit, und unsere reichen Nachbarn halfen uns mitunter. Die Kurden kamen, sie achteten weder Reich noch Arm, und nahmen alles, was sie fanden. Jetzt ist uns nichts geblieben, und wir können weder Arbeit noch Almosen im Dorfe erhalten. Einige von uns haben erwachsene Söhne, aber auch diese haben weder Arbeit noch Handwerkszeug.“ Diese armen Frauen schließen ihren Brief mit Ausdrücken der Dankbarkeit für die geringe, ihnen gewährte Hilfe. Sie sagen: „Möge der Geber alles Guten Sie mit allen himmlischen Gaben erfüllen und Sie jetzt und ewig glücklich machen.“

Gott sei Dank hat, den Winter und Sommer über, durch das internationale Hilfskomitee ein großartiges Unterstützungswerk geschehen können. Das Komitee in Konstantinopel, unter dem Vorsitz des englischen Botschafters, hat die Gelder, die von England und den vereinigten Staaten und in geringem Maße von ändern Ländern kommen,

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/111&oldid=- (Version vom 31.7.2018)