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in vereinzelten Ställen, hie und da in einem einzelnen Raum, der von einem einst wohnlichen Haus übrig geblieben war. Das elende Volk war in Lumpen gekleidet, die nur mit einem Strick um die Lenden festgebunden waren, das war alle ihre Kleidung, kaum genug, ihre Blöße zu bedecken. Mütter baten mich um eine Hilfe zur Wiedererlangung ihrer gefangenen Töchter. Es ist, wenn man alles zusammennimmt, schwer, ein herzzerreißenderes Bild zu denken als das, was ich sah. Nach genauer Berechnung sind 5075 Personen in Gurun, die täglicher Unterstützung bedürfen, wenn sie nicht verhungern sollen. Seit 2½, Monat haben sie keine Unterstützung von der Regierung erhalten, nicht ein Weizenkorn, und was von Gurun gilt, gilt auch von vielen ändern Dörfern, wo überdies viel Krankheit und besonders Typhus herrschen soll.

Das Dorf Gighi bei Cäsarea hatte nur 35 Häuser und 250 Seelen. Als die Plünderer nahten, flohen die Leute und retteten auf diese Weise die Kleider, die sie anhatten. Als sie zurückkehrten, fanden sie kaum mehr als die leeren Wände wieder. Alles Tragbare war fortgeschafft worden, sogar die Webstühle. Ich ging in jedes Haus, öffnete Mehlkästen, und leuchtete mit einem Licht in alle dunkeln Ecken. Zwei Stunden genügten für diese Besichtigung. Die meisten Häuser bestanden aus nur zwei Zimmern. Das erste Zimmer wies nur vier Lehmwände und einen Lehmfußboden auf, in dessen Mitte ein Loch war. In diesem Loch war ein Feuer, um das sich fünf bis zehn Kinder oder Erwachsene gelagert hatten, die ihre Zeit damit zubrachten, sich zu wärmen. In vielen Häusern waren die Mehlkästen zerschmettert worden, und es gab nichts zu untersuchen. Wenn ich fragte, was sie morgen essen würden, antworteten sie: „Gott weiß es, wir haben heute geborgt, vielleicht können wir morgen wieder etwas borgen.“ Im ganzen Dorfe war nicht ein einziges Bett, kaum etwas, was man eine Decke hätte nennen können, nichts als kleine Haufen von Lumpen, die sie sorgfältig aufbewahrten, als das Einzige, womit sie sich Nachts bedecken konnten. Wir wollen ihnen Unterstützungen senden, um sie am Leben zu erhalten.

Aus der Gegend von Gemarck haben wir Boten, die von der beginnenden Hungersnot berichten, und wir müssen sofort das Korn verteilen, das wir hier gekauft haben.

Bericht aus Hulakesch: Die Leute fristen ihr Leben, indem

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/109&oldid=- (Version vom 31.7.2018)