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in der Staatsbibliothek zu Paris befindlichen Studienhefte des Villard de Honnecourt (Ulardus de Hunecort), in welchem man mit gewissem Rechte den Architekten des 1227–1251 erhauten Chores der Kathedrale von Cambrai vermuthet, der in diesem Hefte, neben seinen Studien für jenen Chor, eine Reihe anderer nach den Domen zu Rheims, Laon und sonstigen Kirchen Frankreichs, Deutschlands und Ungarns niedergelegt, welche Länder er besucht hatte.[1] Er nennt nun kleine flankierende Thürmchen Filloles, Töchterchen (sc. der großen Thürme), ein Ausdruck, den die deutschen Steinmetzen sich zu Fiolen zurecht machten, obwohl sie ihn auch hätten übersetzen können, da ihre Hüttensprache ganz ähnliche bildliche Ausdrücke, wie „alte“ und „junge“ (d. i. starke und schwache) Dienste und Aehnliches kennt. Die Philologen mögen feststellen, ob auf der Wanderung durch irgend ein Dialektgebiet sich das o in a umgeändert hat[2], oder ob etwa auch ein lateinischer Ausdruck filialis gleichzeitig in den Hütten sich zur Fiale verwandelte, wie sie Roritzer nennt. Villard (und ohne Zweifel zu seiner Zeit auch andere Baumeister) verstand Latein; denn er gibt neben französischen auch lateinische Erklärungen seiner Zeichnungen.

Den oberen, pyramidalen Theil der Fiale bezeichnet Schmuttermayer als „Dachung“; Roritzer nennt ihn rise, Riese. Nach Reichenspergers Erklärung findet sich noch in einigen deutschen Dialekten in der Bedeutung von „aufsteigen“ das Zeitwort risen (vergl. engl, to rise, sich erheben[3]); also ist rise der sich erhebende Theil, das Spitzdach der Fiale, während der „Leib“ derselben, der untere, geradestehende Theil wieder bildlich vom Menschen übertragen ist, wie die „Töchterchen“, die „alten“ und „jungen“ u. a. m.

Mit den flankierenden Thürmchen nahm die deutsche Kunst auch die zwischen je zwei solchen über Fenstern und Thüren errichteten Ziergiebel auf, welche Villard als peignons und peignonciaux bezeichnet, für die wir in der deutschen Hütte das Wort Wimperge finden, das als wintperge (vor dem Winde bergend, wie der Giebel das Dach vor dem hineinblasenden Winde birgt, der häufig genug schon die nicht durch Giebel geborgenen Dächer aufgehoben hat,) auch sonst in der Literatur vorkommt, gleichbedeutend mit dem lateinischen Worte pinna, woraus das heute noch übliche französische Wort pignon für Giebel entstanden.[4] Bis der Wimperg freilich den Schluß des 15. Jahrh. erreicht hat, ist er kein Giebel mehr, wie im dreizehnten, sondern nur noch eine umsäumende, auf die Wand aufgelegte Umrahmung des Fensterbogens, die ihn ebenso umgibt, wie die sprachlich verwandte Wimper (aus wint-brâ, Windbraue) das Auge. Ihre beiden Theile nennt Schmuttermayer noch „Schenkel“ mit dem allgemein in der Geometrie für die beiden Linien eines Winkels und speziell in der Baukunst für die Seitenlinien des Giebels gebräuchlichen Ausdrucke.

Noch auf einen technischen Ausdruck sei hingewiesen. Schmuttermayer nennt die Gliederung zwischen dem Wimperge und der Kreuzblume villet, d. i. filet (von filum, filetum, Faden). Dies würde unverständlich sein, da es sich hier mehr um Knäufe, als um Fäden handelt, wenn man nicht allgemein eine gleichlaufende, glatte Gliederung so bezeichnen würde, wie sie hier in diesen Knäufen sich findet, wo sie gleichmäßig als dünnes Gesimse, wie ein Faden, um die zu gliedernde Fläche (hier den Stiel der Kreuzblume) sich herumzieht, und wie Schmuttermayer auch an anderer Stelle die Gliederung des Wimpergbogens „Faden“ nennt. Dieser Ausdruck würde sich auch heute noch empfehlen, nachdem für solche ziergliedernde Gesimse eine allgemein übliche Bezeichnung nicht vorhanden ist.

Die in der Regel heute als „Krappen“ bezeichneten Blätter nennt Schmuttermayer Laubpossen (vgl. engl, boss, franz. bosse, ital. bozza: Erhöhung, Buckel, Beule, Butze, Knopf, Knospe), wie sie auch Roritzer benennt, den Stiel derselben „Schwänzchen“.

Die Kreuzblume bezeichnet Schmuttermayer blos als Blume, worunter er jedoch nicht das Ganze, sondern nur den mittleren, ausgeladenen, belaubten Theil versteht (rr), ihre oberste Ausladung (den Theil mm) als Knöpflein und Bützlein, wie er auch die kleineren Knäufe bezeichnet, die auf den kleinen Wimpergen der Fialen an Stelle der Kreuzblumen sitzen, die dort zu klein geworden wären.

Soweit die Erklärung der Ausdrücke, die als technische zu betrachten sind. Wir lassen nun den Text folgen, welchen unsere Fachgenossen wol mit Hilfe der sprachlichen Anmerkungen, die von Herrn Dr. Frommann herrühren, leicht werden verstehen können, so daß sie die Originalfassung jedenfalls einer Uebertragung um so mehr vorziehen, als ja die Verweisungen auf die Buchstaben der Tafel hinreichende Orientierung geben, wo etwa Ungewohntheit der Ausdrucksweise eine Belästigung bieten könnte.


  1. J. B. A. Lassus: Album de Villard de Honnecort. Paris, 1858.
  2. Vergl. Weinhold, bairische Grammatik, S. 18, §. 6; alemannische Grammatik, S. 16, §. 11.
  3. Goth. reisan, ahd. rîsan, mhd. rîsen, st. Vb., aufsteigen, sich erheben, wovon nhd. reisen.
  4. Das mittellat. pinna, pinnula, pinnaculum, auch pigna, pignaculum, welches die Spitze, den Giebel des Hauses, den Kirchthurm etc. bedeutet (Ducange, gloss. med. et inf. latin. ed. Henschel, t. V, 261: altitudo parietis excelsae, culmen domus, turris ecclesiae etc.), wird in den althochd. Glossen des 9.–11. Jahrb. durch diu wintperga, wintberga, (mhd. wintberge, auch wintwer; vor dem Winde bergend, dem Winde wehrend), wie auch durch zinna (Zinne, verwandt mit Zinke, Zint, Spitze) erläutert (Diefenbach, gloss. lat.-germ. 435. Herrad v. Landsperg, hg. v. Engelhardt, S. 188: „pinna, zinne, et per wintperge interpretatur“), welche also ursprünglich (wie zum Theil noch neuhochd.: die Zinne des Berges u. a. ) den Giebel, die Spitze, dann auch die zackige Mauereinfassung bedeuten.