Seite:AndrejanoffLettischeVolkslieder.pdf/51

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Aller Freude, alles Glücks,
An des Häuptlingssohnes Wiege.
Lange sah sie mild und gütig,
Aber ernst, wie nimmer sonst
Auf den kleinen, holden Schläfer –
Sprach dann feierlich und langsam:
„Dir, mein Knabe, ist ein sel’ger
Tod beschert in früher Jugend.
An dem Tag, da zwanzig Jahre
Deines Lebens dir verronnen,
Trifft dich Pehrkons heil’ger Blitz!"
Sprach’s und schwand.


          Das Mädchen.
                    O, der Unsel’ge!


          Maija.
Vater, Mutter sahn die Laima,
Hörten wohl der Laima Worte,
Dachten mit zerrissnem Herzen
Nur an ihres Sohnes Zukunft,
Nur an ihres Sohnes Tod.
Nicht mit Göttern läßt sich rechten
Und den Göttern nicht entfliehen,
Fromm verehren soll ihr Walten
Auch der Arme, den sie grausam
Fühlen lassen ihre Macht!
Doch der Häuptling sann auf eine
Rettung, sann viel Monde, Jahre,
Bis er endlich diesen Turm hier
Bauen ließ. Aus Stein und Eisen
Ist der feste Bau gefügt
Und ein tiefer Keller öffnet
Sich darin mit Stein- und Eisen-
Platten zehnfach zu verschließen.
Dort hinein will der besorgte
Vater an dem Unglückstage
Seinen einz’gen Sohn versenken,
Denn durch Stein und Eisen, meint er,
Kann selbst Pehrkons Blitz nicht dringen –

Empfohlene Zitierweise:
Victor von Andrejanoff: Lettische Volkslieder und Mythen. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1896, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AndrejanoffLettischeVolkslieder.pdf/51&oldid=- (Version vom 26.12.2019)