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Es ist das Schwerste und Ärgste, wenn man die unbedingte Ehrlichkeit und Überzeugung strenge eines anderen in Zweifel zieht, es fällt einem dies umso schwerer, je sorgsamer man selbst den Erscheinungen des Lebens gegenüber nach den Gründen und Zusammenhängen forscht. Ich will daher auch gar keine Antwort auf diese Fragen selbst geben, sondern nur auf große, dunkle Zusammenhänge hinweisen, indem ich mich auf einen Ausspruch Disraelis, des großen englischen Premierministers Lord Beaconsfield beziehe. Dieser schreibt in seinem Roman „Endymien“:

„Niemand darf das Rassenprinzip, die Rassenfrage, gleichgültig behandeln. Sie ist der Schlüssel zur Weltgeschichte. Und nur deshalb ist die Geschichte häufig so sehr konfus, weil sie von Leuten geschrieben worden ist, die die Rassenfrage nicht kannten, und ebensowenig die dazugehörenden Momente.“

Der Bürger.

Der Bürger, dem Ruhe als des Bürgers Pflicht gilt, ist sicher, wie immer bei jedem neuen Gedanken, bei jeder neuen revolutionären Forderung entsetzt, es bedeutet für ihn Unruhe, denn vielleicht müßte er gar dabei etwas denken. Jede Änderung ist ihm verhaßt, sei Ruah will er haben, und wehe dem, der ihm an seinen Geldbeutel will. Nun will man ihm gar seine Zinsen nehmen, seinen Hauszins, seine Pfandbriefzinsen, seine Hypothekenzinsen, kurzum das, was seine Ruhe, sein Behagen und sein Glück ist.

So müssen wir denn immerhin untersuchen, was die Angehörigen der Leihkapital besitzenden Klassen zu sagen haben werden. Sie bilden, abgesehen von den eigentlichen Bourgeois — Bourgeois ist ein Menschentypus, mit dem gar nichts mehr anzufangen ist, der Bourgeois ist ein Ast am Baume der Menschheit, der je eher, desto besser abgehauen wird, es sind dies die satten, selbstgefälligen Spießer mit ihrem jämmerlichen Horizont, die keiner Begeisterung fähig, im ewigen Einerlei ihre Tage hinbringenden Menschen mit Kaffee, Morgenzeitung, Frühschoppen, Mittagsblatt, Mittagsessen, Nachmittagsschlaf, Couponabschneiden, Abendschoppen, Stammtisch, wenn es hoch kommt Kino, verständnislos für alles was die Welt bewegt, was die Jugend ersehnt, was dem Volk, dem Staat, der Gesellschaft nottut, unbekümmert um Krieg und Sieg, versumpft und vertrottelt, arrogant und unterwürfig zugleich, — aber eine so breite Klasse, daß unmöglich an ihr vorübergegangen werden kann.

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Gottfried Feder: An Alle, Alle! 1. Heft. Huber, München 1919, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:An_Alle,_Alle!_Heft_1,_1919.djvu/60&oldid=- (Version vom 29.10.2017)