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Der Zins ist es, der mühe- und endlose Güterzufluß aus reinem Geldbesitz ohne Hinzutun jeglicher Arbeit hat die großen Geldmächte wachsen lassen. Der Zins ist die Kraftquelle des Großkapitals. Der Leihzins ist das teuflische Prinzip, aus dem die goldene Internationale geboren ist. All überall hat sich das Leihkapital festgesaugt. Wie mit Polypenarmen hat das Großleihkapital alle Staaten, alle Völker der Welt umstrickt.

Staatsschuldverschreibungen, Staatsanleihen, Eisenbahnanleihen, Kriegsanleihen, Hypotheken, Pfandbriefobligationen, kurzum Anleihetitel aller Art haben unser ganzes Wirtschaftsleben in einer Weise umstrickt, daß nunmehr die Völker der Welt hilflos in den goldenen Netzen zappeln. Dem Zinsprinzip zuliebe[,] einer im tiefsten Grunde irrigen staatlichen Vorstellung gemäß, daß jede Art von Besitz Anrecht auf Erträgnis habe, haben wir uns in die Zinsknechtschaft des Geldes begeben. Nicht ein einziger wirklicher stichhaltiger sittlicher Grund läßt sich dafür angeben, daß reiner Geldbesitz Anrecht auf dauerndes Zinserträgnis verschaffe.

Dieser innere Widerstand gegen Zins und Rente jeder Art ohne Hinzutritt schaffender Arbeit zieht sich durch das Seelenleben aller Völker und Zeiten. Der Zins ist unsittlich. Doch nie ist dieser tief innerste Widerstand gegen die Macht des Geldes den Völkern so bewußt geworden, wie in unserer Zeit. Nie hat der Mammonismus in so weltumspannender Weise sich angeschickt, die Weltherrschaft anzutreten. Noch nie hat er alle Niedertracht (das Trachten nach dem Niederen im Menschen), Machtgier, Rachgier, Habgier, Neid und Lüge in so schlau versteckter und doch brutal drängender Weise in seine Dienste gestellt wie jetzt. Der Weltkrieg ist im tiefsten Grunde eine der ganz großen Entscheidungen in dem Entwicklungsprozeß der Menschheit in dem Entscheidungskampf, ob in Zukunft die mammonistisch-materialistische Weltanschauung oder die sozialistisch-aristokratische Weltanschauung die Geschicke der Welt bestimmen soll.

Äußerlich hat vorerst zweifellos die mammonistische anglo-amerikanische Koalition gesiegt. Als Reaktion dagegen hat sich im Osten der Bolschewismus erhoben und wenn man im Bolschewismus eine große Idee erblicken will, so ist es zweifellos der einer mammonistischen Weltanschauung diametral entgegengesetzte Standpunkt. Bolschewismus ist ein falsches Mittel der antimammonistischen Reaktion. Die Methoden, die der Bolschewismus hierfür anzuwenden sucht, sind allerdings versuchte Eisenbartkuren. Sie sind der Versuch mit dem Seciermesser einem an innerer Vergiftung leidenden Kranken durch Amputativn [sic! Amputation] von Kopf, Arm und Beinen zu helfen.

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Gottfried Feder: An Alle, Alle! 1. Heft. Huber, München 1919, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:An_Alle,_Alle!_Heft_1,_1919.djvu/15&oldid=- (Version vom 6.10.2017)