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Erwacht ihr Trieb, dich zu bekämpfen,
So wach auch du, ihn früh zu dämpfen,
Eh er die Freiheit dir verwehrt.
Ihn bald in der Geburt ersticken,
Ist leicht; schwer ists ihn unterdrücken,
Wenn ihn dein Herz zuvor genährt.

Oft kleiden sich des Lasters Triebe
In die Gestalt erlaubter Liebe,
Und du erblickst nicht die Gefahr.
Ein langer Umgang macht dich freier;
Und oft wird ein verbotnes Feuer
Aus dem, was Anfangs Freundschaft war.

Begierden sind es, die uns schänden,
Und ohne, daß wir sie vollenden,
Verletzen wir schon unsre Pflicht.
Wenn du vor ihnen nicht erröthest,
Nicht durch den Geist die Lüste tödtest:
So rühme dich der Keuschheit nicht.

Erfülle dich, scheinst du zu wanken,
Stets mit dem mächtigen Gedanken:
Die Unschuld ist der Seele Glück.
Einmal verscherzt und aufgegeben,
Verläßt sie mich im ganzen Leben,
Und keine Reu bringt sie zurück.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Friedrich Oest: Nöthige Belehrung und Warnung für Jünglinge und solche Knaben, die schon zu einigem Nachdenken gewöhnt sind. In: Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens, Heft 6. Schulbuchhandlung, Wolfenbüttel 1787, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Allgemeine_Revision_des_gesammten_Schul-_und_Erziehungswesens_6.pdf/444&oldid=- (Version vom 31.7.2018)