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der unendlichen Räume, mit Welten ohne Zahl und ohne Ende, zu beleben. Man kan von ihr dasjenige sagen, was der erhabenste unter den deutschen Dichtern von der Ewigkeit schreibet:

Unendlichkeit! wer misset dich?
Vor dir sind Welten Tag, und Menschen Augenblicke;
Vielleicht die tausendste der Sonnen welzt jetzt sich,
Und tausend bleiben noch zurücke.
Wie eine Uhr, beseelt durch ein Gewicht,
Eilt eine Sonn, aus GOttes Kraft bewegt:
Ihr Trieb läuft ab, und eine andre schlägt,
Du aber bleibst, und zählst sie nicht.
     v. Haller.

Es ist ein nicht geringes Vergnügen, mit seiner Einbildungskraft über die Grenze der vollendeten Schöpfung, in den Raum des Chaos, auszuschweifen, und die halb rohe Natur, in der Naheit zur Sphäre der ausgebildeten Welt, sich nach und nach durch alle Stuffen und Schattirungen der Unvollkommenheit, in dem ganzen ungebildeten Raume, verlieren zu sehen. Aber ist es nicht eine tadelnswürdige Kühnheit, wird man sagen, eine Hypothese aufzuwerfen, und sie, als einen Vorwurf der Ergötzung des Verstandes, anzupreisen, welche vielleicht nur gar zu willkürlich ist, wenn man behauptet, daß die Natur, nur einem unendlich kleinen Theile nach, ausgebildet sey, und unendliche Räume noch mit dem Chaos streiten, um

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Immanuel Kant: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Johann Friederich Petersen, Königsberg und Leipzig 1755, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Allgemeine_Naturgeschichte_und_Theorie_des_Himmels.djvu/179&oldid=- (Version vom 31.7.2018)