Seite:Alfred Barth Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche.pdf/68

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Erst die moderne Zeit, in der sich der einzelne von den Lehren der Kirche mehr oder weniger emanzipiert, die Gemeinschaft mit Gott und den Glaubensgenossen im Abendmahl seltener oder gar­ nicht sucht, da die Gemeindemitglieder sich nicht mehr gegenseitig kennen, in der Großstadt wenigstens, und die Gemeinde nicht mehr mit einer politischen Einheit zusammenfällt, diese Zeit hat naturgemäß nicht mehr das Bedürfnis, die Glaubenseinheit der ganzen Gemeinde zu empfinden und im Kirchenbau zum Ausdruck gebracht zu sehen.

Neben der eigentlichen Inneneinrichtung findet bei den Massenkirchen Bährs und Schmidts die gesicherte Regelung des Verkehrs in ihr, also die Treppen und Gänge ausgiebige Beachtung. Schon in den programmartigen Erläuterungen zur Frauenkirche 1722 wird von Bähr besonders betont, daß die Kirche so angelegt sei, „damit darin...bequemlich hin und wieder gestiegen und gegangen, das Volk auch bei sich ereignenden jählingen Fällen bald auseinander kommen könne“, (RA., BII. 14.) Die Änderung der ersten Pläne bezieht sich hauptsächlich auf Verbesserung der Verkehrsverhältnisse. In der ausgeführten Kirche sind drei Haupttüren für die Schiffsbesucher und vier Treppen mit besonderen Ausgängen an den Enden der Emporen vorhanden. Die Gesamt­breite der Öffnungen von rund 15 m ist sehr reichlich und würde nach den „Vorschriften für die preußischen Staatsgebäude von 1892“ für 4000 Personen genügen.

Bei der Kreuzkirche hat Schmidt höchst geschickt den zu Emporen nicht nutzbaren Teil hinter dem Altar für zwei symmetrisch gelegene Treppen verwendet. Die zu der Orgel und den Glocken führende Treppe der Frauenkirche bot die Anregung. Die Gesamtbreite der sechs Türen ist die gleiche wie bei der Frauenkirche. Der Austritt von mehreren tausend Personen kann völlig sicher und gleich­mäßig erfolgen. Daß die geringere Anzahl der Schiffsbesucher ebensoviel Türen zur Verfügung hat wie die Besucher der Emporen, ist berechtigt, da die Entleerung der letzteren infolge der weiteren Wege und der Treppen langsamer erfolgt. Der Hauptstrom der Besucher wird dem Bedürfnis ent­sprechend nach dem Altmarkt zu abgegeben. Die Verbindung ist auch innerhalb des Gebäudes überall reichlich vorgesehen. Der Besucher kann, ohne die Kirche wieder verlassen zu müssen, bequem zu allen Plätzen gelangen. Bei Schmidt finden wir eine ausgesprochene Orientierung und kräftigere archi­tektonische Betonung der Eingänge. Vor der Frauenkirche weiß man nicht recht, welche Türe zu wählen ist, um eine bestimmte Stelle im Innern auf direktem Wege zu erreichen. Bei der Annen- und Großenhainer Kirche liegen die Emporentreppen innerhalb des eigentlichen Kirchenraumes. Auch bei der Frauenkirche wurden sie erst während der Ausführung durch verglaste Wände abgetrennt. Bei der Kreuzkirche, wie bei der Dreikönigskirche stellen selbständige massive Treppenhäuser, nur mit den notwendigsten Emporenzugängen, den ungehinderten Verkehr auch bei Feuersgefahr sicher.

Nach ihrer Ausführungsart sind die Werke der Dresdner Kirchenbauschule Zimmermanns­bauten, die Kreuzkirche und Frauenkirche ausgenommen. Nur die Umfassungen sind von Stein, der Ein- und Ausbau von Holz. Das gefügigere Material erleichterte das Planen und führte zur Auffindung neuer Typen durch das Abgehen vom Rechteckgrundriß. Zur Übersetzung der gefundenen Raumgedanken in den Steinbau kam beiden Architekten die zimmermännische Ausbildung zugute. Denn der Zimmerer muß viel mehr als der Maurer mit den statischen Kräftewirkungen vertraut sein, da bei den Holzverbindungen sehr rasch die zulässige Grenze der Beanspruchung erreicht wird. Die Steinpfeiler der massiven Bauten, die so schlank sind, als es die Druckverhältnisse irgend gestatten, erinnern dadurch noch an ihren Ursprung.

Alle Kirchen von Bähr und Schmidt weisen eine überaus geschickte, höchst zweckmäßige und ausgereifte Grundrißbildung auf und bringen die protestantischen Kirchenbauideen in künstlerischer Raumdurchbildung zu vollendetem Ausdruck. Auf die volle Höhe monumentaler Raumkunst erheben sich nur die beiden Massivbauten der Dresdner Schule. Gemeinsam ist beiden, daß ihre Architekten nach ihrer Eigenart das Beleuchtungsproblem lösen, um ihre Innenräume zu gesteigerter Wirkung zu bringen, daß sie ferner die statische Aufgabe der Raumüberdeckung nicht nur technisch überaus geschickt


    Ausdruck verliehen. Es ist nicht genug daran zu lernen. Die weiten lichten Rundbögen wirken erhebend. Die störende, zopfige Dekoration muß man übersehen.

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/68&oldid=- (Version vom 5.4.2024)