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bei der Vesper gegenüber aufzustellen. In Großenhain führte die gleiche Ursache vor kurzem zu einem Umbau.

In Schmidts Kreuzkirche war der Sängerraum anfänglich sehr tief und geräumig geplant; daß der Kreuzschülerchor, ein Erbe aus mittelalterlicher Zeit, für seine Vorträge genügenden Platz erhielt, war der äußere Anlaß. Die Orgel selbst fand im alten Turm Unterkunft. Nach dessen Fall blieb freilich für den Sängerchor nur ein schmaler Balkon übrig, wie ihn die anderen Kirchen Schmidts und Bährs zeigen. Eine Verknüpfung mit den anstoßenden Emporenteilen bot nur schwachen Ersatz für die fehlende Tiefe. Die Bedeutung der Orgel selbst und die des kirchlichen Kunstgesanges entwickelte sich erst im 18. und 19. Jahrhundert.[1] Großenhain z. B. konnte von 1745–78 ohne Orgel aus­kommen. Joh. Sebastian Bach (1685–1730) führte die Orgelmusik und die protestantische Kirchen­musik überhaupt zu ungeahnter Höhe. Große Kirchenkonzerte aber, die heute die Lage der Orgel an der Altarseite erstrebenswert machen, fanden nur allmählich Eingang, zuerst 1804 in Frankenhausen. Daß hier in einer der Sondershausener verwandten Kirche eine sehr tiefe und geräumige Sänger­empore zur Verfügung stand, ermöglichte sie.

Ein Zeitgenosse Bachs, Joh. Gottfried Silbermann (1683–1753), baute die Königin der In­strumente zu hoher Vollkommenheit und zu mächtiger, wenigstens in protestantischer Zeit nicht erreichter Größe aus. Bähr hatte schon vor 1711 Zeichnungen[2] für die Silbermannsche Werkstatt, „stattliche Orgelwerke so nach Florenz gekommen“ geliefert. Während in Sturms Zeichnungen die geringe Be­deutung der Orgel in früherer Zeit durch bescheidene Ausbildung ihrer Fassade, durch ihre Lage dicht unter der Decke und durch die Abmessungen der Ansichtsfläche (27 qm) zum Ausdruck kam, wurde in Bährs und dann auch in Schmidts Plänen die Orgel zu einem wesentlichen Ausstattungs- und Schmuckstück der Kirche, das vom untersten Emporenfußboden aufsteigend ein Arkadenmotiv bis zur Decke einnahm. In der Dreikönigskirche erreichte ihre Ansichtsfläche über 100 qm. Noch bedeutender war sie für die Kreuzkirche[3] geplant. Am wirkungsvollsten ist die Anlage bei der Frauenkirche. Hier ist der Orgelprospekt mit der reichen Architektur des Altarraums zusammen komponiert. Die bildsame stukkierte Schnitzerei des Orgelgehäuses bot in Verbindung mit den metallischen glänzenden Pfeifen ein dankbares Material für das barocke Formenempfinden und ließ im 18. Jahrhundert köstliche Kabinettstücke von außerordentlich dekorativer Wirkung entstehen. Selbst in der klassizistischen Zeit, so bei der damals ausgeführten Kreuzkirche, wurde der Orgel ein größerer Aufwand von allerlei kleinen Schmuckformen eingeräumt.

Einen nicht unwesentlichen Teil der Kircheneinrichtuug stellt schließlich das Gestühl dar. Die Eigenart des protestantischen Gottesdienstes, gleichzeitig die ganze Gemeinde sitzend zu vereinigen, hatte zur Ausnützung der Höhe durch Emporen geführt, die Emporen zu einem charakteristischen pro­testantischen Bauteil gestempelt. Nirgends ist die Ausbildung der Empore in solch starkem Umfang erfolgt, wie in den vier großen Dresdner Kirchen des 18. Jahrhunderts.

Seit der Regierung August des Starken war die Bevölkerung immer mehr gewachsen. In der alten Frauenkirche hatten viele Kirchgänger nur auf dem Dachboden am Gottesdienst teilnehmen können. Bei Neubauten galt es daher möglichst fassungsreiche Kirchen zu bauen und den Kirchenraum möglichst auszunützen. Hieraus erklären sich die vielen Emporengeschosse der Frauenkirche, die Anlage von Sitzplätzen über dem Arkadengurt (wie auch in der Annen- und Waisenhauskirche), ja sogar über dem Auge der Kuppel.[4] Neubauten sollten möglichst lange hintangehalten werden und wurden es auch. Erst 1878 begann die Abtrennung von Parochien, der Bau neuer Kirchen in Dresden.

Charakteristisch vor allem für die späteren Schmidtschen Kirchen ist die Zusammenlegung der

Betstuben für Familien zu einem besonderen Geschoß. Zum ersten Male geschah dies bei der Frauenkirche,


  1. Vergl. Gurlitt, Zur Geschichte der Orgel, Deutsche Bauzeitung 1895, S. 494. – Prof. Dr. Rietschel, Die Aufgabe der Orgel im Gottesdienst bis ins 18. Jahrhundert. Leipzig 1892.
  2. Kopien befinden sich in der Kupferstichsammlung K. Fr. 1. II.
  3. Die jetzt vorhandene hat bei rund 200 qm Prospekt 4 Manuale und 92 Register, 6509 tönende Pfeifen und gilt als eine der größten in Deutschland.
  4. Nach einer Angabe Schiffners sollte der Raum über der inneren Kuppel als Garnisonkirche dienen.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/65&oldid=- (Version vom 3.4.2024)