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Erneuerung der Kirche unter Scherz 1895 hat man nach vielen Versuchen die Kanzel an den vorderen Rand des Altarplatzes gesetzt ohne Rückwand und Schalldeckel, genau wie bei Schmidt, auch in gleicher Höhe, nur etwas näher nach dem Pfeiler zu. Die geplante Verdoppelung steigert die Bedeutung der Schriftvorlesung in einer uns ungewohnten Weise. Abgesehen von der altchristlichen Zeit ist wohl keine solche Doppelanlage[1] ausgeführt worden. Doch könnte rein sachlich das Lesepult einen Platz mit gleich guter Hörbarkeit und Sichtbarkeit beanspruchen. Das 18. Jahrhundert band sich weniger an die Überlieferung und würde sich mit der Schmidtschen Anordnung befriedigt abgefunden haben.

In den Zeichnungen zur Annenkirche liegt die Kanzel gleichfalls am Rande des Altarplatzes, von der Sakristei aus zugängig, doch näher an der Saalwand. Als Gegenstück dient der Taufstein. Über ihm ist, dem Schalldeckel entsprechend, ein Baldachin angebracht. Die lichte Länge des Saales von 21 m gestattete dann den Kanzelaltar, der in den übrigen Kirchen Schmidts die Regel[2] ist. Im Kreuzkirchenplan ist die gegenüberliegende Emporenbrüstung rund 40 m vom Altar, 30 m von den Stufen zum Altarplatz entfernt, der hinterste Platz sogar 36 m. Kanzel und Lesepult sind weit vor ins Schiff geschoben. Die absoluten Raummaße liegen bereits hart an der Grenze des Zulässigen. Der Geistliche muß eine genügend klare, deutliche und kräftige Stimme haben, um überall verstanden zu werden.

Die Orgel ist in den ausgeführten Dresdner Kirchen Schmidts dem Altar gegenüber angebracht. In seinen anderen Plänen bildet sie wie in der Frauenkirche Bährs ein Hauptmotiv zur künstlerischen Gliederung der hohen Altarrückwand. Diese dekorative Verwendung fällt zusammen mit dem ästhetischen Bedürfnis, die Quelle von Musik und Gesang vor Augen zu haben, den Schall der Stellung des menschlichen Ohres entsprechend von vorn aufzunehmen. Diese Punkte sind nicht genügend durchschlagend und allgemein anerkannt, um eine Aufstellung der Orgel an der Altarseite zur Norm zu machen. Künstlerische Gründe können auch die andere Lösung erheischen. Schmidt spricht sich in der Erklärung seiner Annenkirchenrisse[3] für diese andere Stellung der Orgel aus. Er sagt da, daß Altar und (Sänger-) Chor einander gegenüber „sich viel ausnehmender präsentieren, wenn diese zur Vortrefflichkeit der Kirche und Verherrlichung des Gottesdienstes gereichenden zwei Stücke gleich beim Entree durch die (seitlichen) Haupttüren wohlangebracht in die Augen fallen“. Bei den oblongen Anlagen wird durch die Anhäufung der dekorativen Elemente an der einen Schmalseite der Raum gewissermaßen einseitig belastet. Das andere Ende der Längsachse fordert einige Betonung und dazu steht dem Künstler die Orgel zur Verfügung.

Eine Grundbedingung der ästhetischen Raumwirkung ist, daß die Raumform unbewußt klar zur Anschauung kommt. Ohne Betonung der Längsachse wird der länglichrunde Saal flau und unbestimmt. Anders schon der Rechtecksaal. Seine Form ist leicht faßbar. Selbst für die Wirkung der zentralen Formen Bährs ist es nicht ohne Bedeutung, daß er die Umfassungen kreuzförmig plant und dadurch die Hauptachsen erkennbar werden läßt. Verstärkend wirkt bei der Frauenkirche die verschiedene Weite der Arkadenbögen und das Weglassen der oberen Emporen vor den Hauptfenstern in den Kreuzarmen.

Die Lage der Orgel über dem Altar finden wir zuerst bei den Schloßkapellen des 16. Jahr­hunderts. Die besten Plätze der Herrschaft vorzubehalten, mag den Anlaß zu dieser Verlegung gegeben haben. Bei den großen Dresdner Kirchen mit oblonger Entwicklung liegen die bevorzugten Logen und Betstübchen am Altarplatz. Die Orgel nimmt den vom Altar am weitesten entfernten und deshalb für die Kirchgänger schlechtesten Platz ein. Bei der Frauenkirche plante Bähr die Orgel schon im ersten Entwurf über dem Altar. Der Raum ist sehr beschränkt, die Sänger werden auf einer Empore zu beiden Seiten der Orgel aufgestellt. Im approbierten Entwurf wird die Orgel zweiteilig am Über­gang zum Altarplatz in den für die Besucher ungünstigsten Emporenteilen untergebracht. Erst in der

Ausführung rückt sie wieder über den Altar. Der geringe Raum für die Sänger nötigt dazu, diese


  1. Der Bährsche approbierte Entwurf von 1726 hatte an beiden Altarpfeilern gleichwertige Kanzeln, nachdem die axiale Stellung verworfen war. Bei der Konkurrenz für den Berliner Dom wurde von mehreren Teilnehmern eine doppelte Kanzelanlage vorgeschlagen. Vergl. Rb. d. Prot.
  2. In Großenhain war gleichfalls ursprünglich eine seitliche, frei im Raum stehende Kanzel geplant.
  3. R. A., B. II. 42. Annenkirche betreffend vom 21. April 1764.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/64&oldid=- (Version vom 2.4.2024)