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Steigerung der Dekoration. Der überschäumende Linien- und Formenreichtum Bährscher Phantasie ist hier in seinem Recht und kommt voll zur Geltung.

In Bährs Schaffen, das auch einem religiös innigen Gemüt entsprang, spiegelte sich das pietistische Empfinden seiner Zeit. Spener, von dem die Rückkehr zu einem positiv biblischen Christen­tum angeregt wurde, hat selbst längere Zeit in Dresden als Oberhofprediger gewirkt (1686–91). Die religiöse Vertiefung in die göttliche Heilswahrheit und ihre Offenbarung führte zu einem Gottes­dienst von größerem inneren Gehalt. Der Altar als Ort des Gebets und der Gnadenmittel, als Ort der Gegenwart Gottes beim Abendmahl, gewann auch äußerlich an Bedeutung und Nimbus.

Schmidt schuf dagegen bereits in der beginnenden rationalistischen Epoche der Aufklärung[1]. Im Gottesdienst trat die Erbauung zurück, die Belehrung[2] überwog, der Altar verlor an Bedeutung, liturgisch und damit auch künstlerisch.

Schmidt faßt den Altar noch als ein besonderes Stück der Ausstattung auf mit selbständiger schmucklicher Ausbildung und schließt sich hierin der Anschauung der Barockzeit und der Renaissance an. „Wenn ein Altar schön sein soll, so erfordert er Statuen und Malerei.“ (Verteidigung gegen Krubsacius v. 2. März 1765; RA.) Die Säulenhöhe tritt nicht in Konkurrenz mit der des Hauptraumes. Sehr bald hört diese Sonderstellung in der Innenarchitektur auf.

Weiter ist die Lage der Kanzel eine der Hauptfragen beim protestantischen Kirchenbau. Der Theoretiker Sturm war in seinen Schriften für die Anordnung der Kanzel über dem Altar eingetreten. Bähr hat in seinen früheren Kirchen diese bereits bei den Schloßkapellen, dann 1684 in Karlsfeld i. E. ausgeführte Anlage gewählt. In der Dreikönigskirche wurde die Kanzel vielleicht aus akustischen Gründen wieder an eine Langseite verlegt. Die unschöne und unorganische Queranordnung der Bänke zwischen Kanzel und Altar, der Sitzwechsel bei Beginn der Predigt und die Entwertung der hinter der Kanzel liegenden Emporenplätze läßt diese Lage nur als Notbehelf erscheinen.

Bei der Frauenkirche plante Bähr die Kanzel in der Hauptachse, am Abschluß des hochgelegenen Altarplatzes gegen das Schiff. Ihren Platz nimmt heute das Lesepult ein. Sie selbst steht an dem linken Altarpfeiler. Die Anordnung über dem Altar kam bei der großen Tiefe des Chorraums nicht in Frage. In der Kreuzkirche plante sie Schmidt gleichfalls am Rande des Altarplatzes, frei im Raum, aber im Gegensatz zu Bähr seitlich zur Längsachse. Zur Erhaltung der Symmetrie war ähnlich den Ambonen der Basiliken eine zweite Kanzel, als Lesepult benutzbar, geplant. Die Höhe über dem Schiff betrug dreizehn Stufen, 2,5 m. Rückwand und Schalldeckel fehlten. Nur vier Pfeiler hinderten den Ausblick nach der Kanzel und diese waren so schwach, als es die Festigkeit irgend zuließ. Die Emporen waren der Blicklinie entsprechend ansteigend geplant. Die größtmögliche Sichtbarkeit bei gegebenem Raum dürfte annähernd erreicht sein, aber auch die akustisch beste Lage. Den Beweis dafür hat die Benutzung der Kirche gebracht. Bei der Fertigstellung 1792 hatte man die Kanzel an den mittleren Pfeiler der Südseite gelegt, wie in der Dreikönigskirche. Noch vor der Einweihung kamen Beschwerden, daß der Prediger nicht zu verstehen sein würde. In den 40 er Jahren des

19. Jahrhunderts fanden wieder Verhandlungen über eine Veränderung statt. Schließlich bei der


  1. Zur Charakterisierung des Gottesdienstes der Zeit schreibt Blanckmeister (Sächsische Kirchengeschichte, Dresden 1895):
    „...man...überzog die Wände mit weißer Tünche, unter der die alten Wandgemälde verschwanden... und baute die Kanzel just (vereinzelt war das schon vorher geschehen) über den Altar, um die beherrschende Stelle der Predigt im Gottesdienst zu versinnbildlichen, und sorgte dafür, daß durch hohe weite Fenster das helle Sonnenlicht in die Stätte der Aufklärung flutete. Denn aller Mistizismus war dem Zeitalter verhaßt. An Stelle der Offenbarungs­wahrheiten Vernunftwahrheiten. Das nüchterne Geschlecht jener Tage erbaute sich ebenso an dieser Art der Ver­kündigung wie ein früheres an dogmatischen und polemischen Erörterungen.“
    Zur Ergänzung kann dienen das Urteil eines fremden Besuchers (Kleine Wanderungen durch Deutschland, Berlin 1786): „Die Einwohner von Dresden sind gute Christen, aber man hat nicht gehört, daß neue Messias unter ihnen aufständen. Sie scheinen vom Pietismus und Heterodoxie gleichweit entfernt zu sein, singen aus alten Gesang­büchern alte Lieder und erbauen sich von Herzen an den Predigten alten Stils ihrer Lehrer.“
  2. Die Bezeichnung der Geistlichen als Lehrer tritt in dieser Zeit öfters auf. Es ist nur eine innere Konsequenz, wenn auch die Kirchenräume etwas vom Charakter des Lehrsaals annehmen.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/63&oldid=- (Version vom 2.4.2024)