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haben sie keinen Einfluß gehabt. Dagegen könnte er englische Anregungen aufgenommen haben. In London hatte Wren Ende des 17. Jahrhunderts dutzendweise Predigtkirchen zu schaffen und ging dabei von einem höheren Mittelraum mit Arkaden und umgebenden Emporen aus. Den Achteck­saal legte er mehreren zugrunde, auch dem Kuppelraume der Paulskirche in London.

Unter Zusammenfassung zerstreuter Einzelgedanken fand Bähr in durchaus selbständiger, stetiger und konsequenter Entwicklung seinen neuen Kirchentyp, der bei künstlerischer Raumbildung dem protestantischen Zweck voll gerecht wurde. In der Frauenkirche erhob er ihn in technisch musterhafter Ausbildung auf die volle Höhe monumentaler Baukunst.

Direkte Schüler Bährs waren nur zwei Männer, der Dresdner Ratsbaumeister Johann Georg Schmidt und, in geringerem Maße, der Hamburger Kirchenbaumeister Joh. Leonhard Prey[1]. Beide hatten in ihrer Ausbildungszeit in täglichem Umgang mit dem Meister dessen Ideen kennen gelernt, sie bei der zeichnerischen Durchbildung im Atelier, bei der Kontrolle der Ausführung auf dem Bauplatz voll und ganz in sich aufgenommen. Für die weitere Entwicklung des protestantischen Kirchenbaues in Sachsen kommt nur J. G. Schmidt in Betracht. Er hat die stärksten Eindrücke von Bährs Schaffen aufgenommen.

Schmidt als Schüler Bährs.

In Schmidts Kirchenbauten einschließlich der Kreuzkirche stimmen die Elemente der Raumbildung mit geringen Abweichungen überein. Durch schlanke Rundbogenarkaden sind oblonge Säle mit Halbkreisabschlüssen im Grundriß und voller Längs- und Quersymmetrie, also mit zentraler Tendenz geschaffen, um welche sich Emporenräume innerhalb einer geschlossenen, meist recht­eckigen Umfassungslinie gruppieren. Da dem Saal, von den Stirnflächen der Emporen abgesehen, die Wände fehlen, gewinnt die gesamte Raumgruppe hallenartigen Charakter, doch dominiert der Mittelraum und erhält über seinem Gurt, der mit der Emporendecke und der äußeren Hauptsimshöhe zusammenfällt, einen selbständigen Abschluß, nach Art eines Muldengewölbes. Fenster in diesem höher geführten Teil des Saales liefern diesem das Licht. In den Elementen der Raumbildung stimmt Schmidt vollständig mit Bähr überein. Wir können daher mit Recht von einem Dresdner Kirchenbaustil des 18. Jahrhunderts sprechen. Im einzelnen zeigen Schmidts Bauten neben vielem Über­einstimmenden doch auch charakteristische Unterschiede.

Als Grundrißform des Mittelsaals bevorzugte Bähr eine dem Kreis sich nähernde, Schmidt dagegen eine mehr längliche. Die Kreuzkirche weist die doppelte Breite als Länge auf. Bei der Annenkirche und dem ersten Projekt zur Waisenhauskirche ist das Verhältnis 4 : 7. Vielleicht schwebte ihm der goldne Schnitt 4,2 : 7 als beste Proportion vor. In Großenhain gab die Bei­behaltung der Umfassung Anregung zur Kleeblattform. Beim ersten Kreuzkirchenprojekt war er zu schlankeren Verhältnissen genötigt. Der längliche Mittelraum ist bei gleicher Grundfläche ökonomischer. Ein Saal von 20 : 40 m Größe, z. B. wie der der Kreuzkirche, hat 102 m Umfang, ein gleich­großer kreisrunder nur 89 m. Ein konzentrischer Emporenring von 7 m Breite bietet im ersteren Fall 870 qm, beim kreisrunden Saal nur 776 qm Fläche. Während die Ausnützung im Ver­hältnis zur Breite abnimmt, wachsen die Schwierigkeiten und Kosten der Überdeckung mit ihr. Weiter ist auch die Ausnützung der Hörbarkeit des Geistlichen günstiger, wenn die Saalbreite geringer ist als die Länge. Die Punkte gleicher Deutlichkeit bestimmen annähernd eine Ellipse, in deren einem Pol der Sprechende steht und die durch Anbringung eines Schalldeckels schlanker wird. Durch Bestimmung dieser Ellipse müßte sich bei gegebener Kanzellage das günstigste Verhältnis des gesamten Innenraumes und des Saales feststellen lassen. Im Jahre 1708 hat das englische Parlament Vorschriften über den Kirchenbau erlassen. Als Entfernungen, auf die ein Prediger gut verständlich ist, werden angegeben rund 15 m nach vorn, 9 m nach den Seiten, 6 m nach rückwärts. Größer als 18 : 27 m soll eine Kirche in der Regel nicht sein. Diesen Sätzen liegen vermutlich die Erfahrungen Wrens zugrunde. Die angegebenen Maße beziehen sich auf die schwerer verständliche

englische Sprache. Für deutsche Verhältnisse würde man das Richtige treffen, wenn man die doppelten


  1. Vergl. Gurlitt, Gesch. d. B. in Deutschl, S. 436.
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Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/59&oldid=- (Version vom 16.5.2024)