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Die statischen Verhältnisse.

Von großer Bedeutung in Schmidts Plänen ist die konstruktive Durchbildung und Abstützung der massiven Überdeckung. Bei der ähnlichen Anlage der Dreikönigskirche mit rund 470 qm Saalfläche war Bähr die Überwölbung nicht gelungen, obwohl es der Kurfürst dringend wünschte. Schmidts Mittelsaal mit 732 qm Grundfläche ist durch eine Tonne mit Halbkuppeln, die Emporenräume durch korbbogige Gewölbe geschlossen.

Den Schub des Hauptgewölbes nimmt die Anschweifung an die Attique, eine nach außen konkav abgeschlossene halbe Tonne auf und überträgt ihn teilweise durch Vermittelung der Emporengewölbe auf die nach innen gezogenen Strebepfeiler der Umfassungen. Die Attique selbst, die Aufmauerung auf die Arkaden, erhöht die Standfestigkeit der Widerlager. Da Fensterkappen das Haupt­gewölbe durchbrechen, findet nur in den Zwickeln eine Beanspruchung der Emporengewölbe statt. Die letzteren liegen annähernd konzentrisch zu den Arkaden und tragen zu deren Versteifung bei. Auf die Strebemauern üben sie infolge der symmetrischen Anordnung keinerlei Seitenschub aus, sondern nur solchen nach außen. Dessen Größe richtet sich nach dem Winkel, unter dem diese Gewölbe zusammentreffen.

Die Schubwirkung der Arkadenbögen ist ähnlich. Sie sind nicht pendentif, sondern gerade gewölbt gedacht. Ihre Projektion bildet ein Polygon und folgt nicht der Bogenform des Saales. Zwickel über den Pfeilern leiten zu dieser über. Da die Arkaden ungleiche Spannweiten und verschieden große Belastungen haben, je nachdem sie Kuppel oder Tonne tragen, ist vorzusorgen, daß die radial gestellten Strebemauern nicht seitlich geschoben werden. Die Pfeiler Nr. 3, vom Altar aus gezählt, und deren Strebemauern erhalten durch die Arkaden und die Emporengewölbe überhaupt keinerlei Schub nach außen zu. Dafür ist hier die Beanspruchung durch die Tonne des Hauptschiffes am größten. „Zu mehrerem Halt“ dient die angebaute Vorhalle, die auch den weniger bedürftigen Strebemauern Nr. 4 zugute kommt. Den Seitenschub auf die letzteren durch die stärker belastete Arkade 3 bis 4 nehmen zum Turm führende Spannbögen auf. Dem gleichen Zweck dienen von den entsprechenden Pfeilern Nr. 2, sowie von den Altarpfeilern nach den massigen Ostecken gespannte Bögen. Letztere ermöglichen überdies die Einwölbung der hier keilförmigen, weitgespannten Emporenräume. Die für die Fassadengliederung wichtigen Ostecken haben auch ihre statischen Funktionen.

An der Altarseite, wo außer der Kuppel auch die Arkaden und Emporengewölbe infolge der Schrägstellung nach außen schieben, entsprechen den drei inneren Arkaden sieben Fensterachsen mit den zugehörigen Schäften. An den Orgelpfeilern Nr. 5 tritt die gleiche Kräftewirkung wie bei Nr. 1 auf. Die Abstützung ist aber eine andere und ähnelt dem Verstrebungsprinzip der Frauenkirche. Die Schubresultante wird in zwei Komponenten zerlegt, die durch die inneren Treppenhausumfassungen und das Turmmauerwerk aufgenommen werden.

Die Haltbarkeit der Gewölbekonstruktion wurde von Schmidts Gegnern angezweifelt und die Ausführung auch aus diesem Grunde verhindert. Gegen Kuppel und Hauptgewölbe der Frauenkirche und der katholischen Hofkirche wurden die gleichen Einwände erhoben. Sie werden durch den sicheren Bestand beider Gebäude widerlegt. Waren bei den Schmidtschen Plänen vielleicht doch Zweifel berechtigt?

Die Prüfung einer Wölbkonstruktion hat festzustellen, ob in den am stärksten beanspruchten Querschnitten die Materialbeanspruchung innerhalb der zulässigen Grenzen bleibt. Als solche gelten einmal, daß Zugwirkungen überhaupt nicht auftreten und zweitens, daß die größten Druckspannungen nur 1/10 bis 1/20 der Bruchspannungen betragen, daß also 10 bis 20 fache Sicherheit gegen Zerdrücken des Steines vorhanden ist. Ohne Rücksicht auf die Festigkeit des Materials ist zunächst zu prüfen, ob in den gewählten Querschnitten Zug auftritt, beziehentlich ob eine mit den gegebenen Belastungen konstruierte Stützlinie innerhalb des Zentralkerns bleibt. Ist dies der Fall, so ist das Gewölbe stabil. Im Zustand höchster Stabilität fällt die Stützlinie mit den Mittelpunkten der Fugen zusammen. Die Spannung ist in allen Teilen der Fugenfläche gleich groß. Berührt die Stützlinie die Kerngrenze, so treten in den zugehörigen Fugen Kantenpressungen in doppelter Größe der Normalspannung auf.

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/43&oldid=- (Version vom 26.3.2024)