Seite:Alfred Barth Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche.pdf/120

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

III. Die Umgestaltung der Schmidtschen Pläne.

1. Die Vorbilder der Klassizisten.

Abgesehen von den rein stilistischen Differenzen waren es drei Punkte, in denen Schmidt und seine Gegner nicht übereinstimmten. Erstens verwarfen sie seine Anschweifung an die Attique, weiter war ihr Turmideal ein anderes, und schließlich wandten sie sich, wenigstens Exner, gegen Schmidts Gliederung des Innenraumes. Was sie erstrebten, war ähnlich, nur mit barocken Formen, in Dresden bereits verwirklicht in der Katholischen Hofkirche. Auf Exners Pläne war überdies von nachhaltigem Einfluß ein Kreuzkirchenentwurf Lockes.

Turmsilhouette der Katholischen Hofkirche.

Chiaveris Katholische Hofkirche (1738–54).

Für Chiaveri war Anlaß zur höchsten Steigerung seiner künstlerischen Kraft die eben vollendete Frauen­kirche. Bähr hatte die im katholischen Süden heimische Kuppel durch Aufnahme nordischer Konstruktions­elemente schlank und hoch, von zierlichen Ecktürmchen begleitet, aus dem Kirchgebäude heraus entwickelt und so der protestantischen Baugesinnung der Stadt eigen­artigen

Katholische Hofkirche. Grundrisse der Turmgeschosse
übereinander. Maßstab 1 : 500.
Nach Stöckhardts Aufnahmen.

Ausdruck verliehen. Chiaveri war klug genug, nicht mit einem Kuppelbau ein Übertrumpfen der Bährschen Kirche zu versuchen. Er lauschte den Kirchen des Mittelalters das Geheimnis ihrer Wirkung ab. So schuf er, der Italiener, den ersten deutschen Turm, der in Säulen aufwuchs, und stellte ihn vor eine Langhausanlage, die durch den Attiqueaufbau des Mittelschiffs kräftig betont wurde. Mit geschickter Be­nutzung des Schloßturmes als Pendant erzielte er eine machtvolle, fast symmetrische, große Kontur, die das Stadtbild beherrscht und neben der die Frauenkirche mit ihrer imposanten Silhouette klein erscheint. Die Turmverdoppelung paralysiert zugleich die Längenentwicklung, gegen die der eine Turm nicht aufkommen könnte, und mildert die uns fremdartige Loslösung des Turmes vom Schiffsaufbau. Die Attique bildete er in Anlehnung an die Mansardsche Schloßkirche in Versailles, aber ohne Strebe­konstruktion, mit senkrechten Wänden. Pilasterbündel bezeichnen die Knotenpunkte der in Kreuzgewölbe aufgelösten massiven Saalüberdeckung und erheben sich der Überschneidung halber bedeutend über der Oberkante der Hauptumfassungen. Der Mittelsaal wird von dem äußeren Kapellenkranz durch einen

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/120&oldid=- (Version vom 16.5.2024)