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Püchau.


Der im Munde des Volks stets „Bichen“ lautende Ort, mit einem ansehnlichem Rittergute des Majoratsherrn, Grafen Carl Julius Leopold von Hohenthal, liegt ziemlich 1½ Stunde von Wurzen und ebenso entfernt von Eilenburg, in dem sich immer hüglicher gestaltenden Thale oder vielmehr der höhern Aue des sehr nahen linken Ufers der Mulde, in der ehemaligen Eilenburger Pflege, dessen Parochie sich zum fünften Theile über die Grenze des preussischen Herzogthums Sachsen erstreckt. Püchau, das, vermöge seiner natürlichen Situation, in vier Theile zerfällt, in das untere und obere Dorf, welche beide durch den Kirchberg, auf dem auch die 1609 erbaute Pfarre liegt, getrennt sind, und den sogenannten „Bichnerberg,“ auf dessen steilstem Vorsprunge das Schloss mit den Gutsgebäuden erbaut ist, hat im Vergleich zu der bei Weitem plattern Umgebung des benachbarten Wurzens und der grossen Fläche des fünf Stunden entfernten Leipzigs, eine in Wahrheit reizende Lage. – Die Lage und Umgebung dieses nicht eben bedeutenden Orts ist in der That eine wirklich malerische zu nennen. Die auf einem ansehnlichen Hügel erbaute Kirche mit schlankem Thurme, welche allerdings ihr alterthümliches Gepräge, das nur einige Theile des Chors und der Kreuzvorlage noch haben, durch neuere An- und Einbaue sehr verloren hat, das ihr nachbarliche nach Aussen und Innen fast burgähnliche Pfarrhaus mit einem von Pappeln und Zaune umschlossenen Vorplatze, und das gegenüber auf noch etwas steilerer Höhe mit seinen Thürmchen und Giebeln sich erhebende Schloss mit den schönen und zweckmässigen Wirthschaftsgebäuden von grossem Umfange, und endlich das darum gelegte freundliche Dorf machen einen wahrhaft schönen Eindruck. Schloss und Kirche beherrschen die Gegend; ein wirklich schönes Bild, das in der Nähe und Ferne von einem anmuthigen Hügellande eingerahmt wird.

Der jetzige Canzleiname „Püchau“ ist unbedingt, wie viele andere Ortsnamen Sachsens nach seinem ursprünglichen Wortlaute verfälscht. Der Volksname, der meist den besten Leiter zur Etymologie der Ortsnamen slavischer Entstehung, die in Sachsen vorherrschend sind, abgiebt, und zumeist mit den ältesten Urkundennamen übereinstimmt, leitet uns von selbst auf das slavische Etymon Picni oder Picheni, was so viel als einen futterreichen Ort, eine fette Gegend bedeutet.

Die Geschichte Püchaus hat ein reiches Material. Wie es so manchem Orte Sachsens ergangen ist, dass er von seiner ehemaligen Grösse und Bedeutung zu einem blossen Flecken oder Dorfe herabgekommen ist, so ist es auch mit Püchau der Fall, das schon sehr frühe „Stadt“ (oppidum) genannt wird. – Der Ort war unstreitig eine der ältesten slavischen Ansiedelungen, die bereits beim Beginn der Germanisirung des Osterlandes, was hier früher, als es mit dem Meissnerlande vor sich ging, geschah, eine stadtähnliche genannt werden konnte. – Wituchind von Corbei, im 1. Buche seiner Annalen, sowie Annalista Saxo beim Jahre 922 gedenken zuerst des Orts unter dem Namen Bichni. – Nachdem Ersterer die festere Einrichtung oder Anlegung von Städten in den von Slaven bewohnten Gegenden zwischen der Elbe, Mulde und Saale noch vor dem Kriege mit den Hungarn anzunehmen scheint, gedenkt er eines Vorfalls, der Püchau gewissermassen eine hohe Bedeutung in der ältesten Geschichte Sachsens verleiht. König Heinrich, der Städterbauer und Begründer der sächsischen Cultur, den man aus Curiosität den Finkler zu nennen pflegt, ward nämlich in einem Gefechte mit den Hungarn von diesen geschlagen und gelangte auf der Flucht noch glücklicher Weise bis zur Stadt Bichni oder Bicni, und hier war es, wo er zuerst zur Einsicht kam, dass dergleichen ummauerte Orte sehr nützlich gegen die meistens aus Reiterei bestehende Macht der Hungarn seien; auf welche Erfahrung er auch sein neues Kriegs- und Vertheidigungssystem begründete, welche Anekdote gleichfalls Annalista Saxo ähnlich erzählt. Ebenso berichtet Bischof Diethmar von Merseburg in seinem Chronikon (um das Jahr 932, im ersten Buche), dass die Avaren den König geschlagen hätten, als er sie mit zu geringer Macht angegriffen, und dass er bei der augenscheinlichen Gefahr, noch auf der Flucht von den ihn verfolgenden Barbaren erschlagen zu werden, die Mauern von Bichni erreicht habe. Auch fügt der Chronist diesem Factum noch hinzu, dass der König deshalb die Bürger von Bichni nicht nur sehr ansehnlich beschenkt, sondern sie auch noch ausserdem einer grösseren Ehre gewürdigt hätte, als sie bisher erfahren hatten, oder zur Zeit des Berichterstatters Diethmar die Einwohner anderer Städte genossen. – Es ist nun fast zu vermuthen, dass die Bürger Bichni’s, das später auch als Hauptort des Burgwards oder Militärbezirks Bichni, in dem kaiserliche Bergmannen oder die eigentlichen Milites urbici oder Satellites Senioris lagen, schon zu dieser Zeit zum Theil Deutsche waren, weil die Slaven, die doch damals als Bundesgenossen der Hungarn stets erscheinen, sich gewiss nicht so für den König interessirt haben würden. Uebrigens ist diese Erzählung aus Diethmars Feder keineswegs zu bezweifeln, da er doch der Zeit des Factums, sehr nahe lebte. – So wenig auch die Thatsache zu leugnen sein dürfte, so dürfen wir aber hier doch nicht unerwähnt lassen, dass längst schon die Identität des alten Bichni’s mit unserm jetzigen Püchau in dieser Erzählung angefochten ward, und dass namentlich Abel sogar in seinen Noten zu Meibom’s Walbeckscher Chronik Bichni für das im bischöflich-münsterischen Amte Walbeck gelegene Städtchen Beckem oder Beckum an der Werse gehalten, welche Hypothese allerdings Nichts für sich hat. Unbedingt würde der sonst so genaue und umständliche Diethmar, der kurz darauf unser Püchau mit genauerer

Empfohlene Zitierweise:
Gustav Adolf Pönicke (Hrsg.): Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen I. Section. Expedition des Albums Sächsischer Rittergüter und Schlösser, Leipzig 1860, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Album_der_Schl%C3%B6sser_und_Ritterg%C3%BCter_im_K%C3%B6nigreiche_Sachsen_I.djvu/017&oldid=- (Version vom 24.3.2018)