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In der literarischen Welt ist Rammenau dadurch bekannt geworden, dass hier der am 29. Januar 1814 zu Berlin verstorbene Professor und berühmte Philosoph Johann Gottlieb Fichte geboren wurde, dessen Vater, Christian Fichte, Häusler und Bandweber war. Bemerkenswerth ist in hiesigem Pfarrgarten eine ungeheure Linde die in einer Höhe von anderthalb Ellen über dem Erdboden zwanzig Ellen im Umfange enthält. Obschon der alte Baum inwendig ganz hohl ist, grünt er dennoch mit jugendlicher Frische, leider aber hat man die höchsten Aeste wegnehmen müssen, weil zu befürchten stand, dass ein Sturm den ehrwürdigen Baumgreis über den Haufen werfen würde. Die Linde ist offenbar viele Jahrhunderte alt, und befindet sich im Siegel der Kirche. – Rammenau hat jährlich zwei Jahr- und Viehmärkte. –

Zu Rammenau gehört der südlich eine Viertelstunde entlegene Ort Schaudorf, mit achtzehn Häusern und hundert Einwohnern, der erst im Jahre 1769 entstanden ist und zwar auf der Stätte von Bauergütern die von der Rittergutsherrschaft eingezogen worden waren. Schaudorf nannte man das Dorf, weil es auf einer Anhöhe liegt, die dem Auge eine weite Umsicht gestattet. Ferner gehört zu Rammenau der auf ehemaligen herrschaftlichen Waldgrundstücken im Jahre 1823 angelegte Ort Röderbrunn, der seinen Namen von dem hier stattfindenden Ursprunge des Flüsschens Röder erhielt. Es leben hier in zwölf Häusern etwa sechszig Einwohner. Röderbrunn liegt nordwestlich von Rammenau, drei Viertelstunden von der Kirche entfernt, in einem von dem Rammenauer Thale gänzlich getrennten Kessel, wohin der Weg zwischen dem Hubertusberge und dem hohen Steine führt.

Obgleich der hohe Stein (Sibyllenstein) in fast einstündiger Entfernung von Rammenau liegt, dürfte doch hier eine kurze Erwähnung desselben von allgemeinem Interesse sein. Derselbe liegt 1403 Fuss über der Meeresfläche, und von seinem Gipfel zeigt sich dem Beschauer ein herrliches Panorama, denn ausser vielen nahen reizend gelegenen Ortschaften und Punkten erkennt man bei reiner Luft in weitem Umkreise die Höhen bei Grossradisch- und Königshain, die Landskrone, die Tafelfichte, den Isarkamm und das Riesengebirge, das Böhmisch-Lausitzische Gebirge mit der hinter dem Falkenberge bei Neukirch hervorragenden Lausche, und den Tanneberg bei Georgswalde, die Sächsische Schweiz, namentlich den grossen Winterberg, die Tzschirnsteine, den Königsstein, Lilienstein, den Schneeberg, Geissing, die Frauensteiner Höhen, den Wilisch bei Kreischa, den Windberg bei Dresden, sowie hinter dem Ohorner Keulen- und Augustusberge, den Kulmberg bei Oschatz. Nördlich flacht sich die Gegend nach der Haide ab. – Den Gipfel des hohen Steines bildet eine ungefähr vierundzwanzig Ellen hohe und gegen achtzig Ellen breite Schicht sehr grosser Granitblöcke mit zwei Hauptspitzen, die höchst wahrscheinlich durch Menschenhände hier aufgethürmt worden sind. Von dieser den Gipfel bildenden Hauptschicht zieht sich ein jetzt noch etwa drei Ellen hoher Steinwall erst achtzig Schritte weit in derselben Richtung wie die Hauptschicht, nämlich von Osten nach Westen, wendet sich aber dann bogenförmig nach Süden. Er ist grösstentheils zerstört und nur an einer Stelle noch genügend erhalten, um zu erkennen, dass Menschenhände die gewaltigen Steinmassen hier aufschichteten. Dieser Steindamm ist ohne Zweifel der Ueberrest eines germanischen Opferheerdes und wahrscheinlich der Standpunkt eines Abgotts, da man auf der obersten Platte noch mehrere offenbar durch Menschenhände hergestellte Vertiefungen bemerkt. Die Sage erzählt, dass hier einstmals der Teufel sein Wesen getrieben und den Wucherern, welche falsches Maass geführt, in den Löchern nachgemessen habe. – Eine vorzügliche Merkwürdigkeit an diesem Steindamme ist, dass er nicht, wie der eigentliche Gipfel, nur aus Granitstücken besteht, sondern dass sich auch Basalt darunter befindet, der in der ganzen Umgegend nirgends zu Tage ausgeht, und ganz besonders bemerkenswerth sind einzelne Granitstücken durch die sich Basaltadern ziehen, sowie Basaltstücken mit eingesprengtem Granit. Ob, wie Geognosten behauptet haben, diese Steine Schlackensteine sind, welche durch die Glut der Opferflammen aus Granit und Basalt entstanden, oder ob dieselben ein vulkanisches Gebilde sind, wagen wir nicht zu entscheiden. – Dass dieser altgermanische Opferheerd in späterer Zeit auch den Slaven zur Verehrung ihrer Götter gedient haben mag, ist sehr wahrscheinlich. –

O. M.     



Empfohlene Zitierweise:
Gustav Adolf Poenicke: Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen III. Section. Expedition des Albums Sächsischer Rittergüter und Schlösser, Leipzig 1859, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Album_der_Ritterg%C3%BCter_und_Schl%C3%B6sser_im_K%C3%B6nigreiche_Sachsen_III.djvu/98&oldid=- (Version vom 31.7.2018)