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     Verrat mir schien das Sonnenlicht,
     Das Bahn sich durch die Wipfel bricht,

15
Und rings zu – kosen sich erfrecht …

So ward ich – hart, obschon gerecht!


XI.

     Zum Schatten flohn wir aus der Glut;
     Da rauscht und duftet’s frohgemut,
Die Erle wuchert aus dem Moos,
Harz sickert aus der Tannen Schoß;

5
     Wie Silber glänzt die Birkenrinde,

     Daran sich zärtlich schmiegt die Winde;
Durch Blättergrün, vom Abendrot
Vergoldet, schon der Himmel loht;
     Schon Tau und Nebel netzt die Erde

10
     Und heimwärts treibt der Hirt die Herde,

Zu Neste schlüpfen Falk und Taube,
Das Moos dem Rauschen lauscht im Laube
     Der Birke, die im Bächlein klar
     Sich spiegelnd, kämmt ihr Flechtenhaar.


XII.

     Am Himmel losch der Dämmerschein;
     Der Tag entfloh. Wir sind allein
Im Brautgemach: im Waldgezelt;
Die Liebe trennt uns von der Welt!

5
     Still schritten wir zum Waldessaum,

     und hörten sein Geflüster kaum,
Da zwischen uns urplötzlich fiel –
Ich weiß nicht, war es Zufallsspiel –
     Das Zauberwort „Ich liebe dich!

10
     Wer sprach es aus? Sie oder ich?

Die Rose, die vor Scham erglühte?
Das Veilchen, das im Traum erblühte?
     Das Eichhorn, das vom Zweige hüpfte?
     Das Tageslicht, das uns entschlüpfte?

15
Wüßt’ ich es selbst, ich sagt’ es gleich!

Hat uns der Lenz gespielt den Streich?
     Hat uns das Echo nur gedroht?
     Wie ward die weiße Lilie rot!
Schon wollt’ ich fragen sie in Hast;

20
Wer sprach es aus? – Doch sie erblaßt’
Empfohlene Zitierweise:
Albert Weiß: Polnische Dichtung in deutschem Gewande. Otto Hendel, Halle a. d. S. 1891, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Albert_Weiss_-_Polnische_Dichtung_in_deutschem_Gewande.pdf/70&oldid=- (Version vom 21.8.2021)