Und tief sie seufzt, als träume sie –
Und pressen ihr in sel’gem Traum
Die Lippen auf der Lippen Saum!
Vereinsamt unter Menschen, beid’
Erlebten wir die Wonnezeit,
Die Zwang noch kennt und Zweifel nicht,
Da Auge nur zum Auge spricht
Bis des – Verbotnen Zauber zog
Zum Abgrund uns mit Allgewalt,
Der – trennen sollt’ uns allzubald. …
Geblendet kaum vom Sonnenlicht,
Schon plagte mich die Eifersucht:
Wie alles hier so voller Wucht
Sich schmiegt an sie! Wie unverschämt
Solch’ Buhle, reich mit Gold verbrämt,
Wie ihr im Haar die Lilie prangt!
Wie zart und duftig dies Gewand
Berührt ihr Busen, Hals und Hand! …
Da war's geschehn! – Ich weiß nicht mehr,
Ob senkrecht stach der Sonnenspeer,
Ob rings erblüht die Rosen all’,
Ob schlug im Hain die Nachtigall,
Mir auf den Lippen brannt’ es heiß,
Ich seufzt’, als ob ich selbst sie warn’,
Daß nicht ihr Zauber mich umgarn’,
Als sich verschoben bis zur Hand
Und als die Sonn’ ihr kosend naht’,
Daß nicht ihr Leuchten sie verrat’ –
Ansah sie mir mein Mißgeschick
Und züchtig senkte sie den Blick
Mir, der ich ihr zu Füßen sank.
Albert Weiß: Polnische Dichtung in deutschem Gewande. Otto Hendel, Halle a. d. S. 1891, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Albert_Weiss_-_Polnische_Dichtung_in_deutschem_Gewande.pdf/67&oldid=- (Version vom 20.8.2021)