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hat ein unermeßlich Bewußtsein, er weiß, daß er die geringe Knechtsgestalt eingetauscht hat um eine ewige, göttliche Herrlichkeit, die er beim Vater hatte, er bezeugt’s noch Angesichts des Pfahles der Schmach, und des Todes des Verbrechers, daß er sei der Sohn des lebendigen Gottes. Diese arme Krippe im Stalle zu Bethlehem ruft Himmel und Erde auf zur Feier des kündlich großen, gottseligen Geheimnisses: Gott ist geoffenbaret im Fleisch (1 Tim. 3, 16). Dieß noch ärmere Kreuz auf Golgatha steht inmitten dieser friedlosen Welt als das Friedenszeichen der gestifteten Versöhnung. Die Sonne, die an diesem Kreuze untergeht unter allen Schauern und Schrecken der Erde, zieht nach wenigen Tagen wieder herauf in Majestät und Verklärung. Elend, Noth und Tod sind verschlungen in den Sieg und die Herrlichkeit der Auferstehung. Dieser Menschensohn, der hier unten gezagt und gezittert, setzt sich zur Rechten der Majestät in der Höhe, gründet sich seine Gemeinde, baut sich sein Reich, hat alles in seinen Händen, schaut von seinem erhabenen Gottesthrone in ruhiger Siegesgewißheit auf das Rollen der Weltgeschicke und wartet, bis alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt sind. Und diese Dinge sind nicht etwa nur ein schöner Traum, ein Gedicht erregter Phantasie, wozu man sie in unsern Tagen stempeln möchte — sie sind Wahrheit und Wirklichkeit, sie können nicht erdichtet und erfunden sein, denn sie sind höher und tiefer als aller Menschen Vernunft und Gedanken, sie tragen das Siegel göttlicher und menschlicher Beglaubigung. Sie sind bestätigt durch das Wort von Augen- und Ohrenzeugen, die alle Stunde für ihre Sache zu sterben bereit waren, durch das ungeschwächte Zeugniß der Jahrhunderte, durch den unerschütterten Bestand einer christlichen Kirche. Die stärkste, heiligste Macht, die es gibt, die Macht der Liebe, der ewigen göttlichen Liebe, ist zugleich das Siegel der Wahrheit dessen, was das Evangelium verkündet. Denn was durch alles sich hindurchzieht, der rothe Faden in diesem wunderbaren Leben, von der Krippe bis zum Kreuz und vom Kreuz bis zum Throne der Herrlichkeit, ist eine wundermächtige,