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geworden war und es blieb, deren lebendige Aneignung über alle Harleß’schen Erzeugnisse den Hauch warmer christlicher Frömmigkeit verbreitet. Für die Reinhaltung dieses Mittelpunktes, gegen jede Verhüllung desselben, gegen jeden Versuch einer damit gegebenen Vergesetzlichung und Veräußerlichung des Bekenntnisses hat Harleß sein ganzes Leben hindurch mannhaft gestritten. Mit der Kirche, welche nach Ursprung und Lebensäußerung in diesem Mittelpunkte wie keine andere ruht, fülte er sich nunmehr auch innerlich eins, und konnte sich ihr mit voller Gewissheit zu Diensten stellen, nachdem er bisher allein ihren Namen getragen, wie er in seiner Selbstbiographie sich äußert. In diesem kirchlichen Sinne fülte sich Harleß ebenso gebunden als frei; er machte ihn demütig, stark und mutig zugleich. Wie eigentümlich ist beides in dem Vorwort zur ersten und letzten Auflage seiner „Christlichen Ethik“ verbunden! Von den umfassensten Studien aus war Harleß zum Bekenntnis der Kirche gekommen. Die tiefe Geistesschulung, durch welche er gegangen, der Einblick, welcher ihm in das Gesetz kirchlicher Entwickelung zu teil geworden war, bewarte ihn für alle Zeit vor einer Verwechselung von Bekenntnis und Theologie. Harleß selbst hat die alte Warheit mit neuen Geistesmitteln verfochten; eine unvermittelte Rückkehr zur Theologie des 16. und 17. Jarhunderts lag nicht in seinem Sinne. Wer ein neues Ferment in die Kirche Christi wirft, hat immer eine eigentümliche Verantwortung. An das Neue knüpfen sich in der Regel bittere Schmerzen der Scheidung auch unter solchen, die in der Hauptsache eins sind. Harleß wollte aber nur die alte Warheit unter neuer Vertiefung in die Schrift, die Geschichte der Kirche, das Bekenntnis der deutschen Reformation. Er wollte die christliche Heilswarheit in ihrer ungeschminkten biblischen Realität, frei von aller Abschwächung und Zersetzung durch die Geistesmächte der Zeit, in ihrem lebendigen kirchlichen Widerhall. Man hat gesagt, ein kirchlicher, ein geschichtlicher, ein praktischer Geist habe zur lutherischen Richtung gefürt. In Harleß ist dies geschehen. Das Eigentümliche seiner Entwickelung ist nur, dass er nicht wie so manche auf dem Umweg durch die sog. Vermittelungstheologie zum Anschluss an jene gelangte. Er hatte aber um so weniger Grund, mit dieser

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Adolf von Stählin: Löhe, Thomasius, Harleß. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1887, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_L%C3%B6he,_Thomasius,_Harle%C3%9F.pdf/84&oldid=- (Version vom 31.7.2018)