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erfüllte es ihn, als er am Grabe seines Großvaters aus dem Munde des Geistlichen hören musste: „Engel tragen ihm den Kranz entgegen“. Ein tief poetischer und romantischer Zug, der die Seele des Knaben durchdrang, fand dagegen in den damals noch ungebrochenen Zeugen der großen Vergangenheit seiner Vaterstadt, der Altertümlichkeit und Schönheit ihrer Baudenkmale stets neue Narung. Dagegen bot die Schule unendlich wenig; zwar stand für die ersten Jare kein geringerer als Hegel an der Spitze des Gymnasiums; allein dieser wurde schon im Jare 1816 nach Heidelberg berufen; sein Nachfolger war ein ganz unfähiger Mann. Erst in den letzten Jaren wurde es besser, als Karl Ludwig Roth im Jare 1821 durch Niethammer zum Leiter der Studienanstalt berufen worden war und sie dann mit großer Energie, mit drakonischer Strenge reformirte. Roth hat Harleß erst tiefer in den Geist der Antike eingefürt und wirkte auf ihn durch den hohen Ernst einer durchgebildeten sittlichen Persönlichkeit. Harleß hat später Roth seine „theologische Encyklopädie“ gewidmet. Hier findet sich die charakteristische Äußerung: „Das beste von Ihrem Unterricht ist mir dennoch geblieben; das ist die Erkenntnis, dass die Gesinnung allein das wissenschaftliche Streben vor Gott und Menschen adelt“.

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 Das Gegengewicht gegen einen ertötenden Einfluss der Schule in ihrer früheren Gestalt hatte stets der Geist des elterlichen Hauses gebildet. Edle Geselligkeit, Musik und Poesie walteten in ihm. Harleß selbst hatte eine tief musikalische Anlage; halbe Nächte hindurch phantasirte er am Instrument und wollte längere Zeit durchaus ganz der Musik sich widmen. Mit großem Fleiße, in Gemeinschaft mit gleich Strebenden gab er sich der antiken und deutschen klassischen Litteratur hin. Besonders hoch hielt er Jean Paul. Das Christentum war ihm aber ein verschlossenes Heiligtum, obwol der Eindruck des Einzigartigen und Ehrwürdigen der heiligen Schrift in seiner Seele haftete. Niemand hätte ihm auch das Heiligtum aufschließen können; der Religionsunterricht auf dem Gymnasium war mehr als dürftig, die dem Hause näher stehenden Geistlichen huldigten durchaus der herrschenden Richtung und konnten dem ideal romantischen Streben des jungen

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Adolf von Stählin: Löhe, Thomasius, Harleß. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1887, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_L%C3%B6he,_Thomasius,_Harle%C3%9F.pdf/76&oldid=- (Version vom 31.7.2018)