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wir noch von gleichzeitiger, koordinierter Minderwertigkeit sprechen können, wo die bisherige Auffassung zumeist voneinander abhängige Erkrankungen statuiert. So bezüglich zweier Organpaare, deren Zusammengehörigkeit sich auch durch den gemeinsamen Endausgang dokumentiert, bezüglich des Atmungs-, Verdauungs- und des Harn-Genitaltraktes. Für jedes dieser Paare haben wir bereits gemeinsame Stigmen und Reflexanomalien als Indikatoren einer vorliegenden Minderwertigkeit geltend gemacht. Aus der klinischen Medizin können wir neue Beweise heranziehen. Magen-Darmaffektionen bei Erkrankungen der Lunge, bei Emphysem und insbesondere bei Tuberkulose sind hinlänglich bekannt, doch scheint mir ihre Abhängigkeit von einer primären Lungenerkrankung allzusehr betont. Wir finden vielmehr recht häufig, daß sie fehlen können oder auch, daß sie der Lungenaffektion lange vorausgehen, selbst bis in die früheste Kindheit zurückreichen. Die gleiche Auffassung vertreten wir auch betreffs des Zusammenhanges von Erkrankungen im Harn- und Genitaltrakt. Abgesehen von der Häufigkeit gleichzeitiger Bildungsanomalien in beiden Organen ist eine ähnliche Argumentation zugunsten der gleichzeitigen Minderwertigkeit durchaus am Platze. Gehäufter Abortus bei Nierenaffektionen gilt allgemein als deren Folge. Zu dieser Annahme fehlt jede Berechtigung, nachdem sowohl normaler Partus bei Nierenaffektionen als auch mehrfacher Abortus ohne pathologischen Befund nicht allzu selten sind. Ähnlich verhält es sich mit der Schwangerschaftspyelitis. Doch will ich nachdrücklich hervorheben, daß weder eine einseitige noch eine gegenseitige Beeinflussung durch minderwertige Organe ausgeschlossen ist. Nur verdient die Gleichzeitigkeit von Organminderwertigkeit eine besondere Berücksichtigung, derzufolge es möglich sein dürfte, bessere Einblicke in die Pathologie tun zu können. Die Beeinflussung des Kreislaufapparates, speziell des Herzens durch eine Nierenerkrankung ist nach dem vorliegenden Material gewiß plausibel. Verständlicher aber wird das hypertrophische Herz in solchen Fällen, insbesondere bei Nierenschrumpfung, durch die Annahme einer gleichzeitigen Minderwertigkeit des Blutgefäßsystems. Ebenso wird man den Zusammenhang von Nephritis und Augenaffektionen in meinem Sinne verfolgen müssen. In einem meiner Fälle wenigstens, der eine Chorioretinitis im Verlaufe einer Nephritis erwarb, erscheint die gleichzeitige Minderwertigkeit des Sehapparates durch einen angeborenen Schichtstar sichergestellt.

In ähnlicher Weise halte ich die Annahme einer gleichzeitigen Minderwertigkeit für andere Fälle begründet, wo sich nebeneinander Harnorgan und Verdauungsapparat erkrankt zeigen. Hier wären namhaft

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Adler: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1907, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerStudie.djvu/70&oldid=- (Version vom 31.7.2018)