für geringere Zeitabschnitte, ruft die heftigsten Aufregungszustände, Furcht vor beginnendem Wahnsinn und heftiges andauerndes Herzklopfen hervor. Ejaculatio praecox. Die Tochter leidet bei den geringfügigsten Aufregungen an Erbrechen, Bauchkoliken und diarrhoischen Entleerungen. Von Zeit zu Zeit zeigen sich Afterfissuren. Schmerzhafte Menses, ein protrahierter Partus. Ihr 6jähriger Sohn ist Bettnässer. Alle 4 Überlebenden zeigen Mangel des Gaumenreflexes. Die vom Vater überkommene Minderwertigkeit des Darmtraktes und des Zentralnervensystems äußert sich bei der Tochter charakteristischer Weise in der gleichen Weise: psychische Hinfälligkeit gegen äußere Eindrücke und motorische Abfuhr im minderwertigen Magendarmtrakt, der außerdem noch durch den Mangel des Gaumenreflexes und Analfissuren stigmatisiert ist. Das Erbe der Mutter, Minderwertigkeit des Genitalapparates, erscheint in der Dysmenorrhöe und dem protrahierten Partus wieder. Auch der Sohn zeigt in den psychischen Begleiterscheinungen seiner Sexualabstinenz und im unwillkürlichen Kotlassen die Minderwertigkeit der gleichen Organe, die wir bei seinem Vater aufgedeckt haben. Die Enuresis und das gleiche Leiden bei seinem Neffen weisen jedoch, ebenso wie die Nephritis, auf eine Minderwertigkeit des Harnapparates hin, von der wir später zeigen werden, daß sie, vielleicht regelmäßig, mit Minderwertigkeit des Genitalapparates (Ejaculatio praecox beim Sohne, Uteruskarzinom der Mutter) verbunden ist.
Daß so häufig angrenzende, aber auch entfernter gelegene Organe mehr oder weniger an der Minderwertigkeit beteiligt sind, läßt im ersten Falle eine gegenseitige embryonale Beeinflussung erraten, geht auch wohl aus dem embryonalen Zusammenhang mancher Organe hervor, während entferntere Organe durch hereditär bedingte, mehrstellige Degeneration des Keimplasmas, durch frühzeitige Korrelation gewisser Organe, aber auch durch eine übergeordnete Minderwertigkeit von Kreislauf- oder Zentralnervensystem betroffen werden können. Besonders in letzterem Falle wird es uns nicht wundernehmen, gehäufte Organminderwertigkeit auftreten zu sehen, falls überhaupt die Lebensfähigkeit der Frucht gesichert erscheint.
Unsere Behauptungen erhalten eine mächtige Stütze durch die bisherigen Auffassungen und Befunde der klinischen Medizin, der der Zusammenhang mehrfacher Organerkrankungen längst geläufig ist. Vergleichen wir aber damit unsere Ergebnisse bezüglich der mehrfachen Minderwertigkeit und fassen wir sie in jenen Fällen ins Auge, wo sie sich durch Erkrankungen am deutlichsten verraten, so wird es klar, daß
Alfred Adler: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1907, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerStudie.djvu/69&oldid=- (Version vom 31.7.2018)