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sich nackt zu zeigen, immer aber auch, zuweilen gut verhüllt, ein Mann zu sein. Auch die Charakterzüge, diese Leitlinien zweiter Ordnung, zeigen die Wirkung der Sicherungstendenz. Pedanterie, Geiz, Neid, Herrschsucht, Gefallsucht setzen sich oft in der verstecktesten Weise durch. Angst findet sich häufig; sie dient oft dem Beweise, dass man nicht allein sein könne. Und vollends die neurotischen Symptome zwingen das ganze Haus in den Bann des Patienten. Oft wird in mehr oder minder zaghafter, versteckter Weise ein Wunsch zu realisieren versucht, als ob dann der männliche Triumph gesichert wäre. Häufig ist der Wunsch nach einer Ehescheidung, nach einer Übersiedlung in die Grossstadt, nach einer Demütigung von Schwiegersöhnen oder Schwiegertöchtern, als ob dann Beruhigung zu erwarten wäre. Schwierigkeiten beim Essen, beim Stuhl, Bruchstücke aus phantasierten Schwangerschaften und Geburten sind nicht selten. Dazu wird Vergesslichkeit, Zittern, dann und wann auch ein traumatischer Unfall arrangiert, um sich und Andern das Bild steigender Hilflosigkeit vor Augen zu führen. Klagen kehren immer wieder, alle unangenehmen Zufälle gelangen zu besonderer Bedeutung, und der Sinn ist stets auf kommendes Unheil gerichtet. Die demonstrative Hervorhebung des Leidens und die zögernde Attitude dienen einerseits der Fesselung des gesellschaftlichen Kreises, andererseits der Einleitung des Rückzugs bei peinlichen Erwartungen einer Herabsetzung. Psychologisch lässt sich feststellen, dass auch das Klagen als eine Art der Revolte, als männlicher Protest gegen Minderwertigkeitsgefühle empfunden und schwer entbehrlich ist: es soll die anderen schwach, weich machen.

Die Behandlung bietet recht erhebliche Schwierigkeiten, da die Erziehung zur Selbständigkeit im Alter schwieriger, und lohnende Aussichten nicht leicht plausibel gemacht werden können. Wie immer wird auch die Person des Psychotherapeuten und sein wirklicher oder möglicher Erfolg zur Anspornung des Neides verwendet, und Besserungen wirken oft deshalb als Anreiz zur Verschlimmerung. Auch die leicht zu erzielende Autorität wirkt störend auf das Gleichgewicht der Patienten, die sich in ihrem ganzen Leben nicht einfügen oder gar unterordnen konnten. Als ultimum refugium empfiehlt sich in schweren Fällen die Selbstaufopferung des Arztes nach gründlicher Analyse des Falles, sodass man den Schein eines Misslingens der Kur auf sich zu nehmen hat und einer anderen Methode die Lorbeeren zuweist. In zweien meiner Fälle hat sich dieser Kunstgriff bewährt, das eine Mal wurde eine Patientin auf brieflichem Wege von einem bosnischen Landarzt, das andere Mal ein Fall von langjährige Trigeminusneuralgie, den ich 2 Jahre lang mit wechselndem Erfolge behandelt hatte, durch Wachsuggestion gegen mich geheilt. Meist ergeben sich selbst in diesen Fällen nach der Kur noch weitgehende Besserungen und grosse Intervalle, zuweilen völlige Heilungen.

Eine meiner Patientinnen, eine 56jährige Frau, war seit 18 Jahren an Angstzuständen, Schwindel, Üblichkeit, Bauchschmerzen und schwerer Obstipation erkrankt. Einen grossen Teil dieser Zeit hatte sie im Bette oder auf einer Ottomane liegend zugebracht, besonders als sich vor acht Jahren heftige Schmerzen im Kreuz und an den Beinen hinzugesellt hatten. Die Patientin war vorher eine rüstige Frau gewesen, hatte aber um das 16. Lebensjahr angeblich monatelang an einem Gelenkrheumatismus gelitten. Ihr gegenwärtiger Zustand erwies sich als

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Alfred Adler: Über den nervösen Charakter. J.F. Bergmann, Wiesbaden 1912, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerNervoes1912.djvu/85&oldid=- (Version vom 31.7.2018)