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männlichen Protestes, der Sucht nach oben, nicht verfolgt. So kam es, dass sich für ihn der Sinn der Neurose in der Verwandlung libidinöser Regungen erschöpfte, während in Wirklichkeit der Schein oder der Zwang der männlichen Erhöhung des Persönlichkeitsgefühls hinter der Symbolik zu finden ist.

Wir haben dieses leitende Persönlichkeitsideal als Fiktion beschrieben, somit ihren Realitätswert geleugnet, müssen aber dennoch behaupten, dass es obwohl unreal, dennoch für den Prozess des Lebens und der psychischen Entwickelung von grösster Bedeutung ist. Über diesen scheinbaren Widerspruch hat sich Vaihinger in seiner „Philosophie des Als-Ob“ in glänzendster Weise auseinandergesetzt, und hat die Fiktion als Widerspruch gegen die Realität, aber als unentbehrlich in der Entwickelung der Wissenschaften erkannt. In der Neurosenpsychologie habe ich zuerst auf diesen sonderbaren Zusammenhang hingewiesen und wurde durch Vaihingers Arbeit namhaft gefördert und in meiner Auffassung gestärkt. So bin ich derzeit imstande, von der Fiktion des Persönlichkeitsgefühles noch Einiges hervorzuheben, was ihr Wesen und ihre Bedeutung ebenso wie ihre Erscheinungsform in der Psyche in helleres Licht rückt. Vor allem ist sie Abstraktion und muss an sich schon als Andeutung einer Antizipation gelten. Sie ist sozusagen der Marschallstab im Tournister des kleinen Soldaten,[1] und somit eine Abschlagszahlung, welche durch das primitive Gefühl der Unsicherheit erfordert wird. Die Bildung der Fiktion erfolgt unter Beseitigung störender Minderwertigkeiten und hemmender Realitäten in der Idee, wie es jedesmal geschieht, wenn die Psyche in ihrer Bedrängnis einen Ausweg und Sicherheit sucht. Die peinlich empfundene Unsicherheit wird auf ihr kleinstes aber ursächlich scheinendes Mass reduziert, und dieses in sein krasses Gegenteil, in seinen Gegensatz verkehrt, das wieder als fiktives Ziel zum Leitpunkt aller Wünsche, Phantasien und Bestrebungen gemacht wird. Dann kann dieses Ziel der Anschaulichkeit halber konkretisiert werden. Die reale Entbehrung, etwa Nahrungseinschränkung in der Kindheit, wird als abstraktes „Nichts“, als Mangel empfunden, dem gegenüber das Kind nach „Allem“, nach Überfluss verlangt, bis es sich dieses Ziel in der Person des Vaters, in der Gestalt eines sagenhaften Reichen, eines mächtigen Kaisers begrifflich näher bringt. Je intensiver der Mangel empfunden wurde, desto stärker und höher wird das fiktive, abstrakte Ideal eingesetzt, und von ihm aus beginnt die Formung und Gliederung der gegebenen psychischen Kräfte zu vorbereitenden Stellungen, Bereitschaften und Charakterzügen. Die Person trägt dann die durch ihr fiktives Ziel geforderten Charakterzüge, sowie die Charaktermaske, — persona, — des antiken Schauspielers zum Finale der Tragödie passen musste. — Regt sich bei einem Knaben der Zweifel an seiner Männlichkeit, wie jedes konstitutionell minderwertige Kind sich den Mädchen verwandt fühlt, so wählt er sein Ziel in einer Art, die ihm die Herrschaft über alle


  1. Für Psychologen von scharfer Witterung merke ich hier an, dass die Häufung von Vergleichen, die aus dem Militärleben genommen sind, von mir mit bewusster Absicht vorgenommen wurde. Bei der Heereserziehung ist Ausgangspunkt und fiktiver Zweck nur näher zusammengerückt, leichter zu überschauen, und jede Bewegung des übenden Soldaten wird zur Bereitschaft, um ein primäres Schwächegefühl in das Gefühl der Überlegenheit umzuwandeln.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Adler: Über den nervösen Charakter. J.F. Bergmann, Wiesbaden 1912, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerNervoes1912.djvu/49&oldid=- (Version vom 31.7.2018)