den Partner sichern, und die Möglichkeit des Angriffs auf ihn, den bereitstehenden Anlass zu seiner Entwertung liefern. — Das Junktim als ausschliessendes Prinzip erfreut sich der grössten Wertschätzung, wird zum Inventar vergöttlichter Moral oder der höchsten Lebensweisheit. Die Unsicherheit unserer sozialen Zustände, ethische Gesichtspunkte und Schwierigkeiten der Kindererziehung geben den willkommenen Anlass, die vernünftigen Grenzen einer natürlichen Lebenshaltung so eng als möglich zu ziehen, und die Dunkelheit und geringe Eignung des Erblichkeitsproblems wird in gleicher Weise vorgeschoben, um allein bleiben zu können. Viele flüchten in die Religion, geben ihr gegenwärtiges Leben preis, peitschen ihre moralischen und asketischen Regungen auf, um des Glücks, des Triumphes „dort drüben“ teilhaftig zu werden. Die asexuelle Rolle ist also arrangiert, und alles wird Mittel zur Erreichung des Persönlichkeitsideals, was sich durch die Situation und durch die neurotische Perspektive auf das Leben und seine Erfahrungen für sie ergibt. — Zuweilen wird die Sicherung dadurch erzielt, dass die Befriedigung in der Liebesbeziehung ausbleibt und die Enttäuschung mächtig anwächst, Arrangements, bei denen der Patient deutlich nachhilft.
Es ist nur eine andere Seite der Furcht vor dem Partner, dass der Patient gegen den Psychotherapeuten seine Bereitschaften spielen lässt. Die nervöse Patientin bekämpft in dem Arzt auf ihre Weise gleichzeitig den Mann und sucht sich seinem, — oft in einem sexuellen Bild als dem schreckendsten apperzipierten, — männlichen Einfluss zu entziehen. Der männliche Nervöse versucht heimlich die als männlich apperzipierte Überlegenheit des Psychotherapeuten, auch diese oft in einem sexuellen Bild erfasst, zu untergraben. Und beide wehren sich in der Behandlung, wie sie sich immer gewehrt haben, wenn sie ins Leben hinein sollten oder vor Entscheidungen gestellt wurden.
Zuweilen findet man Patienten, die vor der Frau in die Vergangenheit flüchten. Ihr Interesse für Antiken, Heraldik, tote Sprachen etc. wird dadurch sehr gesteigert und oft leistungsfähig. Letzteres bleibt bei solchen Nervösen aus, die ihre Aufmerksamkeit vor allem auf Friedhöfe, Todesanzeigen und Leichenbegängnisse richten.
Oben erwähnte ich das Motiv der Furcht vor der Frau als stärksten Antrieb zur Phantasie und zum Künstlertum. Hier eine Stelle aus Grillparzers Selbstbiographie, die Manches aus unserer Darstellung beleuchtet:
„Wie jeder wohlbeschaffene Mensch fühlte ich mich von der schöneren Hälfte der Menschheit angezogen, war mit mir aber viel zu wenig zufrieden, um zu glauben, tiefe Eindrücke in kurzer Zeit hervorbringen zu können. War es aber die vage Vorstellung von Poesie und Dichter, oder selbst das Schwerflüssige meines Wesens, das, wenn es nicht abstösst, gerade aus Widerspruchsgeist anzieht; ich fand mich tief verwickelt, während ich noch glaubte in der ersten Annäherung zu sein. Das gab nun Glück und Unglück in der nächsten Nähe, obwohl letzteres in verstärktem Masse, da mein eigentliches Streben doch immer dahin ging, mich in jenem ungetrübtem Zustande zu erhalten, der meiner eigentlichen Göttin, der Kunst, die Annäherung nicht erschwerte, oder wohl gar unmöglich machte“.
Es entspricht nur dieser Grundstimmung, die den Künstler wie den Neurotiker gleichermassen beseelt, wenn sie beide, in Rücksicht auf
Alfred Adler: Über den nervösen Charakter. J.F. Bergmann, Wiesbaden 1912, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerNervoes1912.djvu/180&oldid=- (Version vom 31.7.2018)