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übertreibende Perspektive auf die Kraft des Sexualtriebs an und dienen dem gleichen Zweck der Sicherung. Überhaupt ist bei Patientinnen, die leicht von ihrer Sexualität sprechen, die Vermutung gerechtfertigt, dass sie mit grosser Übertreibung ihren Schreckpopanz ausmalen. Die Wirklichkeit spricht immer zu ihren Gunsten. Bei Mädchen findet man manchmal die heilige Überzeugung ihrer Untreue ganz im Vordergrund. Man darf daraus schliessen, dass ihnen auch ein einziger Mann zu viel wäre, dass sie sich vor der Liebe, besonders aber vor der Ehe schützen wollen: „denn zu welchem Ende müsste meine Leidenschaft mich führen?“ Auch die tatsächliche Untreue mancher männlicher und weiblicher Neurotiker führt oft auf die Furcht vor dem einen Partner zurück, dessen Überlegenheit sie fürchten. Das Verständnis der begleitenden Symptome, Angst vor dem Alleinsein, Platzangst, Gesellschaftsangst etc., unsoziales Verhalten, Fixierung von Kinderfehlern, die Krankheit selbst, die Entwertung des anderen Geschlechts geben immer weitere Handhaben, den fiktiven männlichen Zweck dieser Charakterzüge zu erkennen. Oft gibt verschmähte Liebe das Gefühl der Herabsetzung der Persönlichkeit in dem Masse, dass Hass, Gleichgültigkeit oder Untreue als männlicher Protest zustande kommen.

An dieser Stelle sind noch einige Beobachtungen nachzutragen, wie ich sie bei nervösen Eifersüchtigen machen konnte. Immer gilt es der Suche nach Beweisen des eigenen Einflusses auf den Partner, und jede halbwegs taugliche Situation wird zum Experiment ausgenützt. Die Unersättlichkeit, mit der der Nervöse dann seinen Partner prüft, weist deutlich auf sein dürftiges Selbstvertrauen, auf seine geringe Selbsteinschätzung, auf seine Unsicherheit hin, so dass leicht zu erkennen ist, wie seine eifersüchtigen Bestrebungen dazu dienen, sich mehr in Erinnerung zu bringen, mehr Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und so sein Persönlichkeitsgefühl zu sichern. Man wird in jedem Falle das alte Gefühl der Verkürztheit und Zurückgesetztheit, oft bei den nichtigsten Anlässen, wieder aufleben sehen, mit der alten kindlichen Attitude, Alles haben, den Beweis seiner Überlegenheit von dem Partner erlangen zu wollen. Ein Blick, ein Gespräch in Gesellschaft, ein Dankeswort für eine Hilfeleistung, Sympathiebezeugungen gegen ein Bild, gegen einen Autor, gegen einen Verwandten, selbst ein schonungsvolles Verhalten gegen Dienstboten kann zum Anlass der Operation genommen werden. Man hat in schwereren Fällen den deutlichen Eindruck, als ob der Eifersüchtige nicht zur Ruhe kommen könnte, weil er sich wegen seiner Mängel ein ruhiges Glück nicht zutraut. Nun entwickelt sich die Neurose, indem sie durch Arrangement von Anfällen den Partner an sich zu fesseln sucht, sein Mitleid erregen will oder aber eine Strafe für den Partner bedeuten soll. Kopfschmerzen, Weinkrämpfe, Schwächezustände, Lähmungen, Angstanfälle und Depression, Versinken in Schweigen etc. haben den gleichen Wert wie der Verfall in Alkoholismus, in Masturbation, Perversion oder Liederlichkeit. Die Linien des Misstrauens und Zweifels, — oft an der Legitimität der Kinder, — treten stärker hervor, Wutausbrüche und Beschimpfungen, Pauschalverdächtigungen gegen das ganze andere Geschlecht sind regelmässige Erscheinungen, und weisen auf die zweite Seite der Eifersucht, als einer Vorbereitung zur Herabsetzung des Anderen hin. Oft hindert der Stolz das Bewusstwerden der Eifersucht. Das Gebaren

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Alfred Adler: Über den nervösen Charakter. J.F. Bergmann, Wiesbaden 1912, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerNervoes1912.djvu/175&oldid=- (Version vom 31.7.2018)