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Andreas Ulrich Mayer, Gerard van Swieten: Abhandlung des Daseyns der Gespenster, nebst einem Anhange vom Vampyrismus

Grafen Lebzeiten kein Gespenst gehöret, so wurde doch nicht lange nach seinem Tode im Schloße Lerme, und ein Poltergeist ließ sich auf dem obersten Boden hören. Die Früchten, so droben lagen, warf er auf die Gasse, die Leute belästigte er mit Steinwürfen, alles war in Forcht und Schrecken gesetzet. Das Gespenst kam nach und nach weiter über die Treppe herunter. Es schleppte eine Kette unter fürchterlichen Geräusche nach sich, und visitirte täglich bei Nachts in der Küche die Häfen und Schüsseln gar fleißig aus. Es war ein gefresiger Geist. Der Haushofmeister hat es einmal ungefehr gesehen. Er sagte, es sey recht wilde. Es sey haarig, hätte grosse feurige Augen, einen langen Bart, und greßliche Klauen. Durch diese Erzählung wurden die Hausleute ungemein erschrecket. Die Frau Gräfin zwar wurde dadurch in soweit getröstet, da sie hörte, daß es ihrem verstorbenen Herren, der allzeit ein recht christliches Leben geführt, nicht gleichere. Sie bewarb sich, geistliche und weltliche Mittel anzuwenden, um diesen schädlichen Geist vom Halse zu bringen. Die Bedienten waren schon so schüchtern gemacht, daß keiner mehr Abends vor die Thüre hinauszugehen sich getrauete.

Ein beherzter Gesell beschloß folgende Nacht in der Küche, wo das Gespenst allzeit nächtlicherweile hinkam, wache zu halten. Er nahm einen Bedienten zu sich. Als nun alles zu Bette gegangen, und es stille wurde, kam das Gespenst schon über die Stiege herunter mit wunderlichen Geklingel der Ketten. Es kame der Küche immer näher. Der herzhaft Wachende machte sich auf. In einer Hand hatte er einen Säbel, in der andern das Licht. Er macht die Thüre schnell auf, und das Licht wurde ihm ausgelöscht. Er meinte, das Gespenst hätte es ausgeblasen. Er kam in Furcht, und wollte davon laufen. Es war zu spat. Das Gespenst erwischte ihm, saß ihm auf den Hals, und zerkratzte sein Gesicht

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Andreas Ulrich Mayer, Gerard van Swieten: Abhandlung des Daseyns der Gespenster, nebst einem Anhange vom Vampyrismus. , Augsburg 1768, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Abhandlung_des_Daseyns_der_Gespenster.djvu/143&oldid=- (Version vom 14.2.2021)