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Über die frühste grenze kann der inhalt eines märchens bisweilen andeutungen liefern.

Bei den vorhergehenden märchen haben wir die frage nach der entstehungszeit nicht besonders berührt, denn wir haben darüber sehr wenig auszusagen gehabt. Was die älteren literarischen varianten in diesem punkt an aufschlüssen geboten haben, konnte der leser leicht selber aus der untersuchung entnehmen.

Was das zaubervogelmärchen anbelangt, beweist Nachschebis Tûti-Nâmeh, dass es wenigstens schon um 1300 in Persien bekannt gewesen ist. Wahrscheinlich ist es aber viel älter. Nach dem Kathâsaritsâgara und der Brihatkathâmañjarî zu urteilen ist von dem erscheinen des goldes unter dem kopf während des schlafens und dem daran anschliessenden königwerden schon im 11. und 12. jahrhundert in Indien erzählt worden. Den märchen der letztgenannten sammlungen dürfen wir jedoch ohne spezielle nachweise kein höheres alter beilegen[1].

Im occident haben wir ein historisches beweisstück aus der ersten hälfte des 18. jahrhunderts. Die zaubergeschichten des französischen grafen Caylus, die zu dieser zeit erschienen, enthalten in den hauptzügen referiert folgende variante unseres märchens[2]:

Eine zauberin wird in einen zaubervogel verwandelt, auf dessen rechtem flügel geschrieben steht: wer den kopf isst, wird könig, das herz: jeden morgen beim erwachen hundert goldstücke. Die söhne des besitzers des vogels, eines armen mannes, essen den kopf und das herz und fliehen vor dem zorn des getäuschten aus dem hause. Der eine bruder wird um seines reichtums willen ermordet, auf den kopf des anderen lässt sich eine taube herab, und er wird zum könig gewählt. Schliesslich wird auch er wegen seines schlechten regimentes ermordet. (Es wird daraus die nutzanwendung gemacht, dass jeder bei seinem stande bleiben solle).

Der zweck der erzählung hat ohne zweifel das unglückliche ende beider jungen veranlasst. Caylus hat nämlich, wie seine bekanntere


  1. Ahlström, s. 46.
  2. Grimm, III, s. 307.
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Antti Aarne: Vergleichende Märchenforschungen. Société Finno-ougrienne, Helsingfors 1908, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aarne_Vergleichende_M%C3%A4rchenforschungen.djvu/219&oldid=- (Version vom 31.7.2018)